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Bei Art. 7 der Medical Device Regulation VO 2017/745 (= MDR) handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (im Anschluss an OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2021 – 6 U 121/20, GRUR 2022, 581 – Heilerde zur Entgiftung).
Das sog. "Strengeprinzip" kommt zum Schutz der Verbraucher nicht nur bei gesundheitsbezogener Werbung für Arzneimittel zur Anwendung, sondern auch, wenn Medizinprodukte, welche nur physikalisch wirken und nicht vom Körper resorbiert werden (hier: eine Wundauflage zur Aufnahme und Bindung von Wundexsudat), mit heilenden Wirkungen beworben werden (im Anschluss an OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2021 – 6 U 121/20, GRUR 2022, 581 – Heilerde zur Entgiftung).
Maßgeblich für die Frage, ob Werbeangaben gesundheitsbezogene Wirkungsangaben enthalten, ist das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten (im Anschluss an BGH, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 204/19, GRUR 2021, 513 – Sinupret).
Gehören die Adressaten der Werbeaussage dabei verschiedenen Kreisen (hier: medizinische Fachkreise, aber auch das allgemeine Publikum) an, so reicht die Irreführung in einem dieser Kreise aus (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 11.02.2010 – I ZR 154/08, WRP 2010, 759 – Bundesdruckerei und Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244 – Marktführerschaft).
Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 25.11.2021 verkündete Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund (Az. 16 O 66/21) abgeändert:
Die Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, insgesamt höchstens zwei Jahre, zu vollziehen an ihren jeweiligen Geschäftsführern, zu unterlassen, für ihre Wundauflage „A“ mit einem Einsatz bei infizierten Wunden bzw. Infektionen mit den folgenden Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen:
1. „Anwendungsbereiche: infizierte Wunden“
und/oder
2. „Wundstadien: Infektion“,
wenn dies geschieht wie auf der Internetseite https://www.Internetseite.de/A/, zuletzt abgerufen am 20.10.2021 (Anlage AST 1, Bl. 20 d. erstinstanzlichen eAkte).
Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens beider Instanzen werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.
Gründe:
2I.
3Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten, insbesondere solchen zur Wundversorgung. Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren streiten sie darum, ob – zwischenzeitlich nicht mehr in der ursprünglichen Form auf der Website der Verfügungsbeklagten abrufbare – Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten betreffend ihr Produkt „A“, eine Wundauflage, irreführend sind und gegen die medizinprodukterechtlichen Werbevorgaben des Art. 7 der Verordnung (EU) 2017/745 (nachfolgend: MDR) verstoßen.
4Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
5Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch weiterverfolgt. Sie beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen, das Landgericht habe sowohl § 8 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. §§ 3, 5 UWG als auch § 8 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. §§ 3, 3a UWG sowie Art. 7 lit. a) und lit. d) MDR falsch angewendet.
6Entgegen der Ansicht des Landgerichts werde der von der Werbung angesprochene Adressat durch die streitgegenständliche Werbung über die vermeintliche Zweckbestimmung des Produkts „A“ getäuscht. Die Verfügungsbeklagte schreibe der Wundauflage Funktionen und Eigenschaften zu, die sie nicht besitze, indem sie als Anwendungsbereich u. a. „infizierte Wunden“ und als Wundstadium u. a. „Infektion“ angebe. Abgesehen davon, dass diese Indikation nicht Teil der geprüften Zweckbestimmung des Produkts sei, entspreche dies auch nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis. Insbesondere die von der Verfügungsbeklagten irreführend als „klinische Studie“ bezeichnete, im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens von der Herstellerin des Originalprodukts, der B, für deren Produkt „C“ durchgeführte „klinische Bewertung“ stelle keine solche Studie dar und verhalte sich zudem überhaupt nicht zu der in Rede stehenden Indikation. Aus der „klinischen Bewertung“ folge vielmehr eindeutig, dass sich dessen im Konformitätsbewertungsverfahren geprüfte Indikation auf die Verwendung auf exsudierenden Wunden beschränke. Der Einsatz des streitgegenständlichen Produkts bei infizierten Wunden entspreche dagegen nachweislich nicht der der klinischen Bewertung zugrundeliegenden Indikation.
7Soweit die Verfügungsbeklagte aus dem Umstand, dass es sich bei stark exsudierenden Wunden häufig auch um infizierte Wunden handele, folgere, dass infizierte Wunden auch mit ihrem Produkt in geeigneter Weise behandelt werden könnten, verwechsele sie in unzulässiger Weise die Frage einer möglichen Eignung ihres Produktes mit der Frage der Zweckbestimmung, für die das Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden sei. Letzteres umfasse, wie sich sowohl aus der klinischen Bewertung als auch aus der Gebrauchsanweisung und Kennzeichnung ergebe, gerade nicht den Einsatz bei infizierten Wunden. Entgegen der Ansicht des Landgerichts wende sie, die Verfügungsklägerin, sich nicht dagegen, dass die Verfügungsbeklagte eine Wundauflage für infizierte Wunden anbiete, welche nicht mit einer aktiven Substanz oder sonstigen besonderen Ausstattung zur Behandlung einer Infektion versehen sei. Der Vorwurf gehe vielmehr dahin, dass die Verfügungsbeklagte dem streitgegenständlichen Produkt die Eigenschaft der Eignung zur Anwendung bei infizierten Wunden zuschreibe, ohne diese Eignung nachgewiesen zu haben. Die Verfügungsbeklagte erwecke mit der streitgegenständlichen Werbung den unzutreffenden Eindruck, dass ihr Produkt zur alleinigen Anwendung (als Monotherapie) bei infizierten Wunden ohne zusätzliche Antibiotikagabe geeignet sei und einen positiven Effekt auf die Infektion habe. Hierfür fehlten jedoch jegliche klinischen Belege. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang meine, eine infizierte Wunde werde stets auf Basis einer „2-Wege-Behandlung“, bestehend aus der Anwendung einer Wundauflage einerseits und der zusätzlichen Gabe eines Antibiotikums oder Antiseptikums andererseits behandelt, sei dies unzutreffend. Offenbar habe das Landgericht insoweit die erstinstanzlich von ihr vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Frau D vom 20.10.2021 überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Danach gebe es ein spezifisches Marktsegment von Wundauflagen, die bei infizierten Wunden – ohne die zusätzliche Gabe eines Antibiotikums bzw. Antiseptikums – zur Anwendung kämen.
8Die Ansicht des Landgerichts, im Falle einer „Entzündung“ werde sich der Verbraucher nicht mit der bloßen Abdeckung einer Wunde begnügen, sondern entweder ärztliche Hilfe suchen oder neben einer Wundauflage selbst – ggf. nach Beratung durch einen Apotheker – zusätzliche Mittel zur Behandlung anwenden, entbehre jeder Grundlage. Auch habe keine Partei eine solche vermeintliche Verkehrserwartung vorgetragen. Gerade weil in den wissenschaftlichen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften zwischen (nur) kolonisierten, (schon) kontaminierten und (letztlich) infizierten Wunden differenziert werde und entsprechend dem Infektionsstatus jeweils unterschiedliche Behandlungsstrategien zur Anwendung kommen müssten, erwarteten die angesprochenen Verkehrskreise bei einer Wundauflage, die mit der Eignung zur Behandlung infizierter Wunden beworben werde, dass sie über antimikrobielle Eigenschaften verfüge, welche die zusätzliche Gabe von Antibiotika oder Antiseptika entbehrlich machten. Insoweit sei auch zu beachten, dass sich die streitgegenständliche Werbung primär an ein Fachpublikum richte und nicht an Verbraucher. Unzutreffend sei in diesem Zusammenhang ferner die Feststellung des Landgerichts, wonach es vermeintlich offensichtlich sei, dass es zur Behandlung infizierter Wunden (stets) mehrerer Behandlungskomponenten bedürfe.
9Soweit das Landgericht seine Entscheidung weiterhin darauf stütze, dass aus der Gebrauchsanweisung hervorgehe, dass die Wundauflage für die Verwendung auf sehr stark exsudierenden Wunden bestimmt sei, gehe es von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. In der Gebrauchsanweisung seien überhaupt keine Wunden erwähnt, bei denen das streitgegenständliche Produkt indiziert sei.
10Auch die weitere Erwägung des Landgerichts, aus der Eignung der Wundauflage zur Verwendung „für sehr stark exsudierende Wunden“ folge, dass sie auch für die Verwendung auf infizierten Wunden vorgesehen sei, gehe von einem unzutreffenden Sachverhalt aus und sei rechtsfehlerhaft. Das Landgericht habe sich auch insoweit nicht ansatzweise mit der eidesstattlichen Versicherung der Frau D vom 20.10.2021 auseinandergesetzt, aus der sich ergebe, dass der Rückschluss aus der Indikation des streitgegenständlichen Produkts zur Behandlung von exsudierenden Wunden auf eine Eignung zum Einsatz bei infizierten Wunden medizinisch nicht haltbar sei.
11Das Landgericht habe ferner das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG i. V. m. §§ 3, 3a UWG und Art. 7 lit. d) MDR rechtsfehlerhaft verneint. Soweit das Landgericht auch diesbezüglich die Ansicht vertreten habe, die Eignung des Produkts zur Behandlung infizierter Wunden folge bereits aus der Zweckbestimmung als Wundauflage für „sehr stark exsudierende“ Wunden und in den Anwendungsbereichen Dekubitus sowie Ulcus cruris, sei dies rechtsfehlerhaft und unhaltbar. Die Behandlung von Dekubitus und Ulcus cruris lasse sich der Gebrauchsanweisung gerade nicht als Indikation entnehmen. Selbst wenn dies allerdings der Fall sei, ließe sich hieraus jedoch keine allgemeine bzw. weitergehende Zweckbestimmung des streitgegenständlichen Produkts zur Behandlung infizierter Wunden ableiten.
12Die Verfügungsklägerin beantragt,
13das am 25.11.2021 verkündete Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund (Az. 16 O 66/21) abzuändern und die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen, für ihre Wundauflage „A“ mit einem Einsatz bei infizierten Wunden bzw. Infektionen mit den folgenden Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen:
141. „Anwendungsbereiche: infizierte Wunden“
15und/oder
162. „Wundstadien: Infektion“,
17wenn dies geschieht wie auf der Internetseite https://www.Internetseite.de/A/, zuletzt abgerufen am 20.10.2021 (Anlage AST 1, Bl. 20 d. erstinstanzlichen eAkte).
18Die Verfügungsbeklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Die Verfügungsbeklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens sowie mit näheren Ausführungen, u. a. zum medizinischen Hintergrund der Wundversorgung.
21Der Vortrag der Verfügungsklägerin basiere auf einem Irrtum oder einer bewussten Irreführung, da sie suggeriere, sie, die Verfügungsbeklagte, bewerbe ihr Produkt mit einer besonderen antibakteriellen Wirkweise. Dies sei nicht der Fall. Sie habe lediglich behauptet, ihr Produkt könne auch bei infizierten Wunden angewendet werden. Bei den angesprochenen Verkehrskreisen handele es sich um medizinisches Fachpersonal, welches in der Wundversorgung umfassend geschult sei. Soweit eine Wundauflage damit beworben werde, dass sie bei infizierten Wunden angewendet werden könne, erwarteten die angesprochenen Verkehrskreise daher auch nicht zwingend eine antimikrobielle Wirkung der Wundauflage.
22Bereits der Ansatz der Verfügungsklägerin, exsudierende Wunden mit infizierten Wunden zu vergleichen bzw. diese Begriffe einander gegenüberzustellen, sei falsch.
23Entscheidend im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 7 lit. a) bzw. lit. b) MDR sei die Zweckbestimmung des Produkts. Insoweit müssten die Angaben zur Verwendung mit den Angaben auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung, dem Werbe- oder Verkaufsmaterial und der klinischen Bewertung übereinstimmen. Dies sei vorliegend der Fall. Sämtliche Produkte der hier in Rede stehenden „Produktfamilie“ absorbierten Wundexsudat, welches ggf. auch Bakterien oder andere schädliche Substanzen enthalte und seien daher auch für infizierte Wunden geeignet. Einschränkungen fänden sich ausdrücklich nicht. Entgegen der Behauptung der Berufungsklägerin sei die Indikation „infizierte Wunden“ somit Teil der geprüften Zweckbestimmung des Produkts.
24Zu Unrecht versuche die Verfügungsklägerin mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH zur Arzneimittelwerbung ferner, die Anforderungen an Werbung für Arzneimittel gleichzusetzen mit der Werbung für Medizinprodukte.
25Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
26II.
27Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin hat in der Sache Erfolg.
281.
29Ein Verfügungsgrund ist gegeben. Für die Verfügungsklägerin streitet die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG, die vorliegend nicht widerlegt ist. Nach dem durch die eidesstattliche Versicherung ihres Syndikusanwalts vom 19.10.2021 glaubhaft gemachten Vorbringen der Verfügungsklägerin hat sie am 27.09.2021 Kenntnis von der streitgegenständlichen Werbung erlangt. Nach erfolgloser Abmahnung der Verfügungsbeklagten ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 20.10.2021 und somit binnen der nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats maßgeblichen Monatsfrist beim Landgericht Dortmund eingegangen.
302.
31Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Verfügungsklägerin jedenfalls aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, Art. 7 lit. a) MDR zu.
32a)
33Die Verfügungsklägerin ist Mitbewerberin der Verfügungsbeklagten und als solche gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert.
34b)
35Bei Art. 7 MDR handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2021 – 6 U 121/20, Rn. 32, zit. nach juris – Heilerde zur Entgiftung).
36c)
37Mit der angegriffenen Werbung hat die Verfügungsbeklagte jedenfalls gegen Art. 7 lit. a) MDR verstoßen, weil die Angaben „Anwendungsbereiche: infizierte Wunden“ und „Wundstadien: Infektion“ hinsichtlich des Produkts „A“ der Verfügungsbeklagten irreführend und damit unzulässig sind.
38aa)
39Gem. Art. 7 lit. a) MDR ist es bei der Kennzeichnung, den Gebrauchsanweisungen, der Bereitstellung, der Inbetriebnahme und der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt.
40Von dieser Irreführungsvariante sind die bislang von § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG erfassten Angaben über die Wirkungen des Medizinproduktes erfasst. Insoweit kann bei der Anwendung der Vorschrift auf die Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Letztlich gelten also nach beiden Bestimmungen die gleichen Anforderungen für Wirkungsaussagen für Medizinprodukte (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 37 mwN.).
41bb)
42Bei der in Rede stehenden Wundauflage „A“ der Verfügungsbeklagten handelt es sich unstreitig um ein Medizinprodukt.
43cc)
44Die angegriffenen Werbeangaben „Anwendungsbereiche: infizierte Wunden“ und „Wundstadien: Infektion“ enthalten gesundheitsbezogene Wirkungsaussagen, weil die angesprochenen Verkehrskreise diesen Aussagen eine Wirkung der Wundauflage für die Körpergesundheit bzw. speziell hinsichtlich des Einflusses der Wundauflage auf den Heilungsprozess infizierter Wunden entnehmen (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 39, zit. nach juris).
45(1)
46Maßgeblich ist insoweit das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten (vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 204/19, GRUR 2021, 513, Rn. 11 mwN., zit. nach juris – Sinupret), hier nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien jedenfalls überwiegend medizinisches Fachpersonal, aber – schon im Hinblick auf die von jedermann im Internet abrufbare beanstandete Werbung – durchaus auch das allgemeine Publikum bzw. entsprechend interessierte „Laien“.
47Gehören die Adressaten der Werbeaussage dabei – wie hier – verschiedenen Kreisen an, so reicht die Irreführung in einem dieser Kreise aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11.02.2010 – I ZR 154/08, WRP 2010, 759, Rn. 11 mwN. – Bundesdruckerei; Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244, Rn. 23 – Marktführerschaft, jew. zit. nach juris). Jedenfalls das Verkehrsverständnis des allgemeinen Publikums bzw. der interessierten „Laien“ vermag der Senat aus eigener Sachkunde zu beurteilen, weil seine Mitglieder sämtlich diesem Verkehrskreis angehören (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244, Rn. 23 mwN. – Marktführerschaft, zit. nach juris).
48(2)
49Indem die Verfügungsbeklagte für ihr Produkt mit den streitgegenständlichen Angaben wirbt bzw. in der Vergangenheit geworben hat, hat sie zumindest dem allgemeinen Publikum bzw. interessierten „Laien“ suggeriert, die Wundauflage „A“ besitze über das reine – unstreitig vorhandene – Exsudatmanagement hinausgehende Eigenschaften, die es – wenn auch nicht zwingend im Sinne einer „Monotherapie“ – speziell für den Einsatz bei infizierten Wunden qualifizieren. Dies folgt bereits daraus, dass der Markt im Allgemeinen, aber auch die beiden Parteien im Besonderen nach dem unstreitigen, im Übrigen aber auch an Eides Statt versicherten Vorbringen der Verfügungsklägerin in ihren jeweiligen Sortimenten ausdrücklich zwischen Produkten unterscheiden, die zur Behandlung infizierter Wunden geeignet sind und solchen, auf die dies nicht zutrifft. So empfiehlt bspw. die Verfügungsbeklagte speziell zur Reduktion einer bakteriellen Belastung andere Produkte des eigenen Sortiments mit dem Wirkstoff Polyhexanid. Gleichzeitig stellt die Verfügungsbeklagte auch die These der Verfügungsklägerin nicht in Abrede, wonach eine (stark) exsudierende Wunde nicht zwingend infiziert ist, mag dies auch in einer nicht unwesentlichen Anzahl der Fälle zu bejahen sein. Hieraus folgt, dass der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Werbeadressat davon ausgeht, dass ein Produkt, welches nicht als nur zur Behandlung exsudierender Wunden im Allgemeinen, sondern auch als zur Behandlung infizierter Wunden im Besonderen geeignet beworben wird, Eigenschaften besitzt, die über die reine Absorption des Wundexsudats hinausgehen. Um welche Eigenschaften es sich hierbei im Einzelnen handelt, bedarf dabei aus Sicht des Werbeadressaten keiner weiteren Klärung.
50Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verbraucher, der auf der Suche nach einer für eine bestimmte Wunde geeigneten Wundauflage ist, im Zweifel ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen oder sich zumindest in einer Apotheke beraten lassen wird. Wie im Senatstermin eingehend erörtert ist es nicht ausgeschlossen bzw. vielmehr sogar gerade naheliegend, dass ein Großteil der betroffenen Verbraucher sich zunächst mit Hilfe einer Internetsuchmaschine informieren und dabei u. a. auch auf die – unstreitig allgemein zugängliche – Werbung der Verfügungsbeklagten stoßen wird. Vergleicht er die von der Verfügungsbeklagten beworbene Wundauflage sodann hinsichtlich ihrer Eignung für infizierte Wunden mit anderen Produkten, die weitere Wirkstoffe enthalten, ist es wiederum keinesfalls ausgeschlossen, dass er sich für das Produkt der Verfügungsbeklagten gerade deshalb entscheidet, weil dieses keine zusätzlichen keimreduzierenden Wirkstoffe enthält und dem eigenen Körper deshalb auch keine Fremdstoffe zugeführt werden, was nach Auffassung jedenfalls eines Teils der Verbraucher besonders erstrebenswert ist.
51Zu einer Beratung durch einen Arzt oder Apotheker kommt es in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht zwingend, weil die von der Beklagten vertriebene Wundauflage – wie im Senatstermin klargestellt – frei verkäuflich ist und daher im Zweifel auch ohne jede vorherige fachliche Beratung bspw. über eine Internetapotheke bezogen werden kann.
52dd)
53Die vorstehend Werbeangaben „Anwendungsbereiche: infizierte Wunden“ und „Wundstadien: Infektion“ sind irreführend.
54(1)
55Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Eine gesundheitsbezogene Werbung ist nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (sog. „Strengeprinzip“). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können, oder wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, obliegt grundsätzlich dem Unterlassungsgläubiger. Eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast kommt allerdings in Betracht, wenn der (Verfügungs-)Kläger darlegt und nachweist, dass nach der wissenschaftlichen Diskussion die Grundlagen, auf die der Werbende sich stützt, seine Aussage nicht rechtfertigen (st. Respr., vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 204/19, GRUR 2021, 513, Rn. 16 ff. – Sinupret; OLG Frankfurt, aaO., Rn. 41, jew. mwN. und zit. nach juris).
56(2)
57Die Verfügungsklägerin hat mit den im einstweiligen Verfügungsverfahren statthaften Mitteln der Glaubhaftmachung (§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO) hinreichend belegt, dass die angegriffenen Angaben jedenfalls fachlich umstritten sind (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 42, zit. nach juris).
58Insbesondere aus der bereits erstinstanzlich vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Frau D vom 20.10.2021, die bei der Verfügungsklägerin als Global Medical Affairs Manager Therapeutic Area Advanced Woundcare beschäftigt ist und sich in fachlicher Hinsicht wiederum auf Fachliteratur in Form von Konsenspapieren des International Wound Infection Instituts bzw. der World Union of Wound Healing Societies (WUWHS) stützt, ergibt sich, dass im Bereich der Wundauflagen zwischen Auflagen zum Infektionsmanagement einerseits und solchen für das Exsudatmanagement andererseits zu unterscheiden ist, weshalb sich aus der Zweckbestimmung einer Wundauflage zur Anwendung bei (sehr) stark exsudierenden Wunden – insoweit entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten – keine Indikation (auch) für infizierte Wunden ableiten lässt.
59(3)
60Aufgrund der fachlichen Umstrittenheit ist es Sache der Verfügungsbeklagten, die Richtigkeit ihrer Aussagen im einstweiligen Verfügungsverfahren glaubhaft zu machen. Die wissenschaftliche Absicherung des Wirkungsversprechens muss bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein. Nicht ausreichend ist es, den Nachweis erst im Prozess – bspw. durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens – zu führen (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 46 mwN., zit. nach juris).
61(a)
62Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, sind grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dies erfordert nach dem sog. „wissenschaftlichen Goldstandard“ im Regelfall, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (st. Respr., BGH, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 204/19, GRUR 2021, 513, Rn. 20 mwN., zit. nach juris – Sinupret).
63Im Streitfall gilt auch nicht etwa deshalb ein weniger strenger Maßstab, weil es sich bei der beworbenen Wundauflage nicht um ein Arzneimittel handelt, sondern ein Medizinprodukt, welches vom Körper nicht resorbiert wird, sondern nur physikalisch wirkt, indem es Wundexsudat aufnimmt und bindet. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass ein Mittel mit heilenden Wirkungen beworben wird und deshalb zum Schutz der Verbraucher das „Strengeprinzip“ zur Anwendung kommt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass das Mittel im Körper verstoffwechselt wird oder eine pharmakologische Wirkung eintritt (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 49, zit. nach juris).
64(b)
65Die von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Dokumente, insbesondere die vom schwedischen Hersteller B durchgeführte klinische Bewertung des Original-Produkts „C“ vom 06.05.2020, sind nicht geeignet, den Wirkungsnachweis nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze zu führen (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 50, zit. nach juris). Hierbei handelt es sich unstreitig nicht um eine klinische Studie nach dem sog. „Goldstandard“.
66(c)
67Die als Zeugin benannte und im Senatstermin anwesende Frau E war nicht zu vernehmen. Auch die eidesstattliche Versicherung des Herrn F ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Die mangelnde Vorlage von Studienergebnissen, die nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung erstellt wurden, kann nicht durch Aussagen von Zeugen oder eidesstattliche Versicherungen ersetzt werden. Es handelt sich insoweit um untaugliche Beweismittel (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 53, juris).
68(d)
69Weiterhin ist im vorliegenden Verfahren nicht von entscheidungserheblicher Relevanz, dass das Produkt der Verfügungsbeklagten das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen hat und zugelassen ist. Soweit für die Zulassung des Produkts keine Studienergebnisse nach dem „Goldstandard“ erforderlich sind, entbindet dies die Verfügungsbeklagte nicht von den Anforderungen des heilmittelwerberechtlichen Irreführungsverbots (vgl. OLG Frankfurt, aaO., Rn. 63, zit. nach juris).
70d)
71Der Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des Art. 7 lit. a) MDR ist auch spürbar i. S. v. § 3a UWG.
72e)
73Letztlich schließt der Umstand, dass die die angegriffene Werbung enthaltende Website zwischenzeitlich umfassend überarbeitet wurde, die Wiederholungsgefahr nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.1998 – I ZR 264/95, GRUR 1998, 1045, Rn. 19 ff. mwN., zit. nach juris – Brennwertkessel).
74III.
75Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht angezeigt (vgl. Zöller/Herget, 34. Aufl. 2022, § 708 ZPO, Rn. 8).