Zukunftsforscher Schmidt „Sport, Musik, Film werden als Entertainment verschmelzen“

Interview | Düsseldorf · Der Düsseldorfer Zukunftsforscher Sascha Schmidt erklärt, worum der Fußball mit Netflix genauso wie mit Spotify konkurriert, wie Gegenwart und Tradition den Sport auszubremsen drohen und warum Vereine nicht in die Erfolgsfalle tappen dürfen.

 Netflix, Prime, Spotify - oder Live-Sport? Alle konkurrieren um die Zeit der User.

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Foto: dpa/Silas Stein

Wenn wir wüssten, was die Zukunft bringt, müsste sich Sascha Schmidt einen neuen Job suchen. Doch das tun wir nicht. Was also bleibt, ist, dieser ungewissen Zukunft ein Mindestmaß an Vorbereitung entgegenzusetzen. „Future Readiness“ nennt das die Forschung. Schmidt, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management am Standort Düsseldorf, ist Experte auf dem Gebiet. Eines, das jeden einzelnen betrifft, die Gesellschaft, Unternehmen – und eben auch den Sport.

Herr Schmidt, wie „future ready“ sehen Sie den deutschen Sport an der Spitze? Der DFB hat immerhin seinen neuen Sportdirektor gefunden, weil der halt mit am Tisch saß. Viel künstliche Intelligenz und Big data waren da nicht im Spiel.

SCHMIDT Der Sport als Ganzes lässt sich schwer fassen. Zu unterschiedlich gestalten sich Spitzen-, Amateur- und Breitensport. Insgesamt kann man sagen, dass der Sport im Vergleich zu anderen keine Branche ist, die sich durch Future Readiness auszeichnet.

Müssten angesichts einer solchen Bestandsaufnahme nicht die Alarmglocken schrillen bei denen, deren Job es ist, einen Verein, einen Verband, ja eine ganze Sportart zukunftssicher zu machen? Was ist da los?

SCHMIDT Zukunftssicherung rein auf der Technologieebene zu verorten, wäre zu einfach. Also im Sinne von: Wir haben Künstliche Intelligenz, wir haben Robotik, wir haben Blockchain. Die entscheidende Frage ist doch, was machen wir nun damit? Das Problem ist, dass man den Nutzen einer Technologie nur einschätzen kann, wenn man selbst eine Strategie entwickelt hat, die die Richtung vorgibt. Und da hakt es bei vielen Entscheidern im Sport, weil sie – verständlicherweise – zu sehr ins Tagesgeschäft eingebunden sind.

Aber ist der Verweis aufs Tagesgeschäft nicht eine willkommene Ausrede?

SCHMIDT Das mag sein. Die richtige Balance zwischen Gegenwart und Zukunft ist am Ende entscheidend. Im Moment liegt im Sport noch zu oft ein zu großes Gewicht auf der Gegenwart. Auf dem Alltag. Aber diejenigen, die langfristig erfolgreich sind, die finden auch die Zeit, sich mit der Zukunft systematisch zu beschäftigen und eine Strategie dahingehend zu entwickeln.

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Foto: disney+/Krzysztof Wiktor

Der Sport ist eine auf Tradition Wert legende Branche. Reduziert das nicht den Druck auf Entscheider, etwas verändern zu müssen? Es läuft ja auch so.

SCHMIDT Was Sie beschreiben, ist das Phänomen der Erfolgsfalle. Dass vergangener Erfolg es schwieriger macht, Dinge zu verändern. Aber die Organisationen, die sich bereits neu erfinden, während sie erfolgreich sind und eben nicht erst mit dem Rücken zur Wand im Krisenfall, die sind auf lange Sicht einfach wettbewerbsfähiger.

Haben Sie ein Beispiel dafür, was Sie meinen?

SCHMIDT Nehmen Sie den Frauenfußball. Es ist schön zu sehen, was sich da momentan alles tut. Aber ich würde noch viel weitergehen und sagen: Wieso kann nicht der Frauenfußball etwas ganz anderes sein als der Herrenfußball? Ansonsten wird er doch immer die kleine Tochter des Herrenfußballs bleiben. Wieso ist man im Frauenfußball nicht experimenteller unterwegs? Macht beispielsweise kleinere Felder, größere Tore, modernere Regeln. Dass man sagt: Wir kreieren ein ganz anderes Spieltagserlebnis. Und ja, das ist am Ende dann nicht wie beim Männerfußball – aber vielleicht liegt genau darin die besondere Chance.

Also beginnt Zukunftsorientierung mit Vorsprung im Kopf?

SCHMIDT Auf jeden Fall. Es geht ums sogenannte Mindset. Niemand weiß ja, wie die Zukunft aussehen wird. Also geht es vor allem darum, sich regelmäßig mit verschiedenen Zukunftsszenarien zu beschäftigen, auch wenn man nicht weiß, welches letztendlich eintritt. Aber allein dadurch, dass ich mich mit Szenarien beschäftige, bin ich auf die wie auch immer geartete Zukunft besser vorbereitet. Technologie ist dabei nur ein Treiber.

Welche gibt es noch?

SCHMIDT Konsumentenverhalten. Die Menschen möchten nicht mehr nur passiv konsumieren. Fans wollen aktiv mitbestimmen. Wir sehen, dass sich am Ende ganz oft gesellschaftliche Trends mit technischen Neuerungen vermischen. Und genauso kann man neue Technologien im Rahmen der digitalen Transformation nutzen, um gesellschaftlichen Trends zu begegnen. Diese Wechselwirkungen zu verstehen und Veränderungen anzustoßen, ist insbesondere die Aufgabe für die Top-Entscheider.

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Foto: dpa/Fabian Sommer

Die Verhaftung in Traditionen ist dann ja auch nur eine Seite des Sports, auf der anderen Seite gelten Menschen im Sport als Anpacker, Macher, Teamworker. Und diese Seite ist doch prädestiniert für die Umsetzung von Veränderungen.

Zukunftsforscher Sascha Schmidt aus Düsseldorf.

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Foto: Anna Kaduk

SCHMIDT Ja, total. Ich sehe auch gar keinen Widerspruch zwischen Tradition und Innovation. Die Frage lautet ja eher für den Sport: Wie kann ich meine Tradition, meine Werte ins neue Zeitalter übersetzen? Bewahren gehört dazu, aber Bewahren allein löst keine Probleme. Man muss auch Dinge bewusst infrage stellen.

Haben es andere Branchen da leichter, weil sie sich weniger um Traditionen scheren müssen als der Sport?

SCHMIDT Ich sehe den Sport da gar nicht in einer Sonderrolle. Die Herausforderung, Vergangenheit und Zukunft vernünftig auszubalancieren, stellt sich für jede Branche.

Wen empfehlen Sie Sportorganisationen zum Austausch, um die Zukunft nicht im eigenen Saft anzusteuern?

SCHMIDT Da gibt es viele Wege wie zum Beispiel eine Kooperation mit einer Hochschule, die Zusammenarbeit mit einem Start-up, einem Softwareentwickler. Es geht darum, junge Leute einzubinden, attraktive Ausbildungsprogramme einzurichten, das richtige Mindset in der Organisation zu schaffen. Es ist auch nicht schlimm, Fehler zu machen. Es ist nur schlimm, nichts zu machen, um Fehler zu vermeiden.

Tun wir Deutschen uns schwerer als andere mit technologieaffinem Denken, weil wir bei Big Data eher an Datenklau und bei Künstlicher Intelligenz an Terminator denken?

SCHMIDT Da gibt es sicherlich einen kulturellen Unterschied im Vergleich zu den USA. Technologieoffenheit soll ja auch nicht bedeuten, dass man technologiehörig ist. Mir geht es um die bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema. Was sind Möglichkeiten, wo gibt es Grenzen? Gefährlich ist nur, sich mit neuen Technologien überhaupt nicht auseinanderzusetzen.

Ist den Entscheidern im Sport eigentlich bewusst, dass die größte Konkurrenz nicht andere Vereine oder Sportarten sind, sondern Spotify, Netflix oder TikTok?

SCHMIDT Aus Konsumentensicht verschmelzen Sport, Musik, Film, aber auch Bildung zusehends. Aus dieser Perspektive ist es egal, ob ich ein Sportstar, Filmstar oder Modestar bin. Die Fans folgen einem Star, weil er cool ist. Das Metaverse wird die Verschmelzung der verschiedenen Entertainmentformen beschleunigen. Damit müssen wir uns heute beschäftigen. Das haben im Sport aber viele noch nicht realisiert. Das Problem ist: Man überschätzt immer den Fortschritt in einem Jahr und unterschätzt den in zehn Jahren.

Der Kampf dreht sich um die Zeit der Leute. Das ist die entscheidende Währung der Zukunft, oder?

SCHMIDT Absolut.

Steht am Ende die Frage: Wo bleibt bei all dem, worüber wir geredet haben, der Amateursport?

SCHMIDT Auch für den stellt sich vor allem die Aufgabe, gesellschaftlich relevant zu bleiben. Es geht darum, dass ich mich als Verein neuen Zielgruppen öffne, neue Angebote etabliere. Hierbei spielt auch Technologie eine Rolle: Wir sehen ja oft, dass das, was im Profisport noch teuer war, über die Zeit auch für den Amateursport erschwinglicher wird. Zum Beispiel sehen wir mittels künstlicher Intelligenz gesteuerte autonome Kameras, die mittlerweile auch in der Landesliga eingesetzt werden. Damit kann ich als Amateurverein plötzlich Partien live streamen, Spielanalysen machen, Leistungsdaten erheben. Oder nehmen sie den Freizeitjogger, der mit seiner Smart Watch seine Zeiten und Leistungsdaten misst, mit Freunden teilt, vergleicht. Technologie kann dazu führen, dass das Amateur-Sporterlebnis attraktiver wird.

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