Seenotrettung und „Sichere Häfen“: Es ist Platz

120 Kommunen fordern, aus Seenot gerettete Menschen aufnehmen zu dürfen. Ende Januar steht ein Treffen mit dem Bundesinnenministerium an.

Leoluca Orlando, Miriam Koch, Luise Amtsberg und Mike Schubert stehen vor der blauen Wand im Haus der Bundespressekonferenz.

Fordern Seenotrettung: Leoluca Orlando, Miriam Koch, Luise Amtsberg und Mike Schubert (v.l.n.r.) Foto: dpa

BERLIN taz | Zahlreiche Kommunalpolitiker*innen fordern die Möglichkeit, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufnehmen zu dürfen. „Es quält uns, dass weder Städte wie Palermo Schiffe aufnehmen noch dass wir die geretteten Menschen zu uns holen dürfen“, sagte am Montag Miriam Koch, die Leiterin des Amtes für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf.

Zusammen mit Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sprach sie im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin für die 120 im Netzwerk „Sichere Häfen“ organisierten Kommunen, die sich zur Aufnahme von Geflüchteten über den Königsteiner Schlüssel hinaus bereit erklärt haben. Auf Briefe an das Bundesinnenministerium habe man aber seit inzwischen einem Jahr keine Antwort bekommen, erklären beide. „Das Sterben hat kein Ende gefunden, und wir warten auf eine Lösung“, sagte Koch.

Neben ihnen saßen Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, und Leoluca Orlando, Bürgermeister der sizilianischen Stadt Palermo, der sich einen Namen machte, als er gegen sich offensiv gegen die restriktiven Gesetze des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini wandte.

Auch Orlando erinnerte an die drastische Situation auf dem Mittelmeer, sprach gar von einem „Genozid“ – und appellierte an europäische Solidarität. Allein in diesem Jahr sind dort laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bereits 24 Menschen ertrunken, unter ihnen auch Kinder. Im Jahr 2019 waren es über 1.300 Menschen.

„Unser Meer, unsere Verantwortung“

Erst am Freitag hatte das zivile Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 3“ rund 120 Menschen aus dem Wasser gerettet. Palermo allein sei zu klein, um alle Menschen in Seenot aufzunehmen, auch Sizilien oder Italien seien zu klein, sagte Orlando. „Aber 28 Staaten sagen, sie hätten keinen Platz?“

Das Mittelmeer sei „unser Meer, und deswegen ist es auch unsere Verantwortung in Europa“, sagte die Grüne Luise Amtsberg. Sie forderte sichere Fluchtwege, damit Menschen gar nicht erst in Seenot geraten, und begrüßte, dass Deutschland, Italien, Malta und Frankreich vorangegangen sind und sich zu viert auf einen Verteilmechanismus geeinigt haben. „Für diese vier Akteure ist das aber auf Dauer nicht tragfähig“, sagte sie. Zudem seien von den rund 800 Menschen, zu deren Aufnahme sich Deutschland bereit erklärt habe, bislang nur etwa die Hälfte im Land angekommen.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert forderte, verschiedene Debatten nicht zu vermischen. „Es ist erst mal egal, warum Menschen in Seenot geraten – ob sie auf einem Kreuzfahrtschiff sind oder auf einem Schlauchboot.“ Diese Menschen müsse man sofort retten. Danach könne man über die Verteilung und über langfristige Mechanismen sprechen, auch mit Blick auf die überfüllten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. „Oder sollen wir die Menschen erst mal ertrinken lassen, bis wir eine Regelung gefunden haben?“

Aufnahme keine parteipolitische Frage

Die Zahl der zur Aufnahme bereiten Kommunen steige täglich, sagte Schubert. Es handle sich nicht um eine parteipolitische Frage – im Bündnis „Sichere Häfen“ seien auch CDU-geführte Kommunen vertreten, betonte der SPD-Politiker. In Deutschland seien es inzwischen 120, auch in anderen europäischen Staaten würden es immer mehr – neben Palermo nannte das Podium etwa Barcelona oder Montpellier, auch in Osteuropa würden immer mehr Kommunen den Kurs ihrer Regierungen kritisieren.

Auch Schubert attestierte der Bundesebene fehlenden Willen. Das Bundesinnenministerium hat wiederholt erklärt, wegen der rechtlichen Lage keinen Handlungsspielraum zu haben. Schon jetzt könnten Länder aber extra Kontingente aufnehmen, betonte Schubert – wenn das Bundesinnenministerium zustimmt. Gesetze seien zudem „keine Naturgegebenheiten“ und könnten geändert werden. Am 28. Januar stehe ein Treffen mit dem Bundesinnenministerium an. Dort müsse es zuerst um die akute Notlage und sofortige Maßnahmen gehen.

Auch Miriam Koch betonte, dass zuerst die humanitäre Notlage gelöst werden müsse. Von den 70 Millionen Flüchtlingen weltweit komme nur ein kleiner Teil überhaupt nach Europa. Bei der Seenotrettung gehe es nur um wenige Menschen. „Düsseldorf könnte sehr schnell einige Hundert aufnehmen“, sagte sie.

Und selbst wenn sich Deutschland allein entschließen würde, alle 40.000 Geflüchteten von den griechischen Inseln aufzunehmen: „Nach Königsteiner Schlüssel wären das 8.000 Menschen für Nordrhein-Westfalen und für unsere Kommune letztlich 300“, rechnete Koch vor. „Auch dieses Problem könnte man angehen, wenn man den Mut dazu hätte.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.