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Album der Woche – Teodor Currentzis dirigiert Beethoven Eine Fünfte mit Gänsehaut-Momenten

Auch wenn es Beethoven-Einspielungen schon wie Sand am Meer gibt: pünktlich zum Beethoven-Jahr wagen doch wieder einige prominente Dirigenten einen neuen Blick auf die neun Symphonien. Der griechisch-russische Pultstar Teodor Currentzis hat mit seinem Orchester MusicAeterna nun den Startschuss zu einer weiteren Gesamtaufnahme im Originalklang gegeben – ausgerechnet mit Beethovens Fünfter. Und das könnte durchaus spektakulär werden.

CD-Cover: Teodor Currentzis dirigiert Beethovens Fünfte Symphonie | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

Der CD-Tipp zum Anhören

No 5, rot auf schneeweißem Grund: Die Verpackung lässt an einen Parfümklassiker denken, an einen sanft duftenden Hauch. Doch drin, auf der CD, da weht ein ganz anderer Wind. Da pocht das Schicksal nicht erst noch lang an die Pforte, da stürmt es gleich wie ein Orkan durch die Tür.

Popstar mit rot geschnürten Stiefeln

Beethoven statt Chanel. Und trotzdem der pure Luxus. Denn dass die Welt eine weitere Einspielung der 5. Symphonie unbedingt gebraucht hätte, lässt sich schwerlich behaupten. Luxuriös auch die Produktionsbedingungen: fünf Aufnahmetage im Wiener Konzerthaus für knapp 31 Minuten Musik – damit ist die CD gerade mal halb so lang wie ein Christian-Drosten-Podcast. Aber wenn Teodor Currentzis am Pult steht, das Enfant terrible der klassischen Musik, der Genauigkeits-Fanatiker vom Ural, der Popstar unter den Dirigenten mit seinen engen Jeans und den rot geschnürten Stiefeln – dann hat auch eine halbe CD die ganze Aufmerksamkeit verdient.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
… es gern kurz und knackig mag.

Dieses Album hört man am besten …
… mit Kopfhörern – da kommt man klanglich so nah dran, als säße man mitten im Orchester.

Dieses Album führt bei Überdosis zu …
… aktiver Teilnahme an Protestzügen, Barrikadenkämpfen oder Revolutionen.

Zügig, aber nicht überzogen

Dirigent Teodor Currentzis | Bildquelle: © Christian Charisius Teodor Currentzis | Bildquelle: © Christian Charisius Eigentlich liebt Currentzis Extreme und Effekte. Er lässt schon mal das ganze Orchester beim Fortissimo aufstehen, er tanzt und tobt am Pult, er wählt rasante Tempi. Hier nicht. Zügig, das schon, aber nicht überzogen. Fast skrupulös folgt er Beethovens originalen Metronomangaben und entspricht damit dem Common Sense der historisch informierten Aufführungspraxis. Da war der alte Harnoncourt schon störrischer und provokanter. Bei Currentzis dagegen treibt das berühmte Viertonmotiv ein wie geschmiert schnurrendes Räderwerk an, Rubati sind selten. Aber umso mehr haben sie zu sagen.

Sorgfältige Ausgestaltung der Details

Die Oboe, die sich als einsame, klagende Stimme mitten im Sturm erhebt. Die goldenen Klarinetten, das tiefen Schnarren des Kontrafagotts Die Bläser des mittlerweile in St. Petersburg angesiedelten Originalklangensembles MusicAeterna sind mit ihren charakteristischen Farben die heimlichen Stars der Aufnahme. Überhaupt liegt die Stärke der Einspielung in der sorgfältigen Ausgestaltung der Details.

Scherzo als spukhafte Nachtmusik

Diese bedrängende, erschütternde Steigerung gegen Ende des Kopfsatzes zum Beispiel – sie sorgt für den ersten Gänsehaut-Moment. Oder dann im zweiten Satz, wenn plötzlich Wärme durch den sonst so vibratolosen Streicherklang strömt Oft sind es gerade die leisen Stellen, in denen Currentzis eine ungeheure Intensität und Spannung erzeugt. Ganz besonders packend im dritten Satz, wo das Scherzo zur spukhaften Nachtmusik wird, ein gespenstisches Wispern und Wuseln im Schutz der Dunkelheit.

Kein bequemes Zurücklehnen

Manchmal hört man in dieser Aufnahme die Klappen und Bögen der historischen Instrumente so deutlich, dass Geräusche-Papst Helmut Lachenmann seine Freude dran hätte. Und wenn sich die Spannung schließlich nach einer grandiosen Steigerung entlädt, im Fortissimo, mit der krachenden Revolutions-Rhetorik der Pauken, dann ist noch längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Der Kampf geht auch im Finale weiter, zeigt Currentzis. Bequem zurücklehnen – das geht nicht bei dieser ungestümen CD. Vielleicht ist sie insgesamt eine Spur zu trocken geraten, nicht nur akustisch, vielleicht ist es keine Aufnahme zum Verlieben. Aber definitiv eine zum Bewundern.

Teodor Currentzis dirigiert Beethoven

Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 5 c-Moll, op. 67

MusicAeterna
Leitung: Teodor Currentzis

Label: Classical

Sendung: "Piazza" am 20. Juni 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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