Direkt zum Inhalt wechseln
LIVE Neue Nachricht im Liveticker
Sie leiden besonders

Hilfe mit Herz für Berlins Obdachlose

Bild konnte nicht geladen werden

Erst gibt es Tee und dann fließen die Tränen. Christa Maas (71) steht auf dem Gehsteig vor der Bahnhofsmission am Zoo und breitet ihre Arme aus und drückt Bettina K. (55) fest an sich. Trotz Corona. Obwohl sich die beiden Frauen gerade erst kennengelernt haben.

Christa Maas kommt regelmäßig mit ihrem roten Kleinwagen an die Bahnhofsmission und verteilt selbstgemachten Tee aus einer großen Thermoskanne, Knoppers, Taschentücher und Kleidung.

Jetzt hält sie die schluchzende Frau in ihren Armen. Bettina K. ist seit einem guten Jahr obdachlos. Trotzdem wirkt sie elegant in ihrem langen Mantel, der sie vor der Kälte schützt. Sie schläft gemeinsam mit Freunden oder Bekannten. Meistens Männern. „Auch wenn die nicht immer die besten Absichten haben“, sagt sie. „Ich wurde schon vergewaltigt und verprügelt. Als Frau auf der Straße ist es schrecklich.“

Dann wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Jammern will sie nicht, sagt sie. Auf ihrer Stirn funkelt Glitzer. „Auch wenn ich keine Wohnung habe, darf man doch ein bisschen leuchten“, sagt sie und lacht.

Christa Maas (71) aus Zehlendorf kommt regelmäßig mit heißem Tee, Süßigkeiten und Kleidung an die Bahnhofsmission und verteilt sie an Bedürftige. Zum Anschluss verteilt sie rote Herzen aus Papier (Foto: Olaf Selchow)
Christa Maas (71) aus Zehlendorf kommt regelmäßig mit heißem Tee, Süßigkeiten und Kleidung an die Bahnhofsmission und verteilt sie an Bedürftige. Zum Anschluss verteilt sie rote Herzen aus Papier (Foto: Olaf Selchow)

Sie ist Maklerin, hat in Süddeutschland und auf Ibiza gearbeitet. „Ich habe Luxusimmobilien verkauft“, sagt, „dann hatte ich einen Burnout.“

Vor 13 Monaten kam sie zurück nach Deutschland. Heute hat sie kein eigenes Dach mehr über dem Kopf.


Lesen Sie auch

Berliner Suppenbus für Obdachlose – Aufmerksamkeit auf vier Rädern

Das Ohr an der Straße – aus dem Leben obdachloser Menschen


Lebensgefahr für obdachlose Menschen

Neben Bettina K. kommen ein gutes Dutzend Menschen und bitten um einen Becher Tee bei Christa Maas. Tee gibt es zwar auch an der Ausgabe der Bahnhofsmission. „Aber ich finde es schön, hier ein bisschen etwas Gutes zu tun und den Menschen zu helfen“, sagt die frühere Grundschullehrerin. „Vor allem wenn es so kalt ist, wie jetzt gerade.“

Bis zu Minus 15 Grad sind es gerade in den Nächten. Minus 6 am Tag. So kalt wie lange nicht. Für obdachlose Menschen herrscht Lebensgefahr. 17 Menschen sind diesen Winter in Deutschland schon erfroren. So viele wie seit Jahren nicht. Die Zahl der Obdachlosen in Berlin wird auf 4000 bis 6000 geschätzt.

Altenpflegerin Lydia (42) hat ihre Wohnung in Bayern wegen Eigenbedarf verloren. Seit sie sich von ihrem Freund getrennt hat, ist sie obdachlos (Foto: Olaf Selchow)
Altenpflegerin Lydia (42) hat ihre Wohnung in Bayern wegen Eigenbedarf verloren. Seit sie sich von ihrem Freund getrennt hat, ist sie obdachlos (Foto: Olaf Selchow)

Der Senat hat deshalb mehrere Hostels angemietet, um Wohnungslose unterzubringen. Fast 1500 Plätze gibt es dieses Jahr in der Kältehilfe. Im Hofbräuhaus in Mitte gibt es eine Notunterkunft, zehn Busse fahren Nachts durch Berlin, verteilen Schlafsäcke oder bringen Menschen ins Warme.

„Ich weiß, was ich tue“

William (19) will nicht ins Warme. Er schläft lieber im Tiergarten. „Da habe ich meine Ruhe und keiner beklaut mich“, sagt er. Er hat seinen Job in einem Handy-Reparaturshop verloren, als der wegen Corona schließen musste. Danach verlor er seine Wohnung. „Und mein Chef war ein Arschloch“, sagt er.

William (29) aus Haifa hat seinen Job in einem Handy-Shop verloren. Er schläft in einem Zelt im Tiergarten (Foto: Olaf Selchow)
William (29) aus Haifa hat seinen Job in einem Handy-Shop verloren. Er schläft in einem Zelt im Tiergarten (Foto: Olaf Selchow)

Vor der Kälte hat er keine Angst: „Ich weiß, was ich tue“, sagt er, „habe ein Zelt und einen warmen Schlafsack. Aber wenn man trinkt oder Drogen nimmt, kann es sehr gefährlich sein.“

Je tiefer die Temperaturen fallen, desto größer wird die Hilfsbereitschaft der Berliner: Am Zentrum der Berliner Stadtmission in Moabit geben die Menschen im Minutentakt Kleidung und andere Spenden ab, auf dem Hof steht ein Catering-Bus von Siemens. Das Unternehmen spendiert jeden Tag über 100 warme Essen für Obdachlose.

Die beiden Kantinenköche der Firma Siemens Florian Nitsch (34, l.) und Olaf Bartos (54) versorgen mit ihrem Food-Truck bis zu 100 obdachlose Menschen (Foto: Olaf Selchow)
Die beiden Kantinenköche der Firma Siemens Florian Nitsch (34, l.) und Olaf Bartos (54) versorgen mit ihrem Food-Truck bis zu 100 obdachlose Menschen (Foto: Olaf Selchow)

Große Hilfsbereitschaft bei niedrigen Temperaturen

Die Firma Tchibo hat 16 Paletten warmer Kleidung für die Notunterkunft im Hofbräuhaus des Trägers Gebewo gespendet, das Charlottenburger Einkaufscenter Wilma hunderte Mützen, Schals, Handschuhe und warmen Socken für die Bahnhofsmission am Zoo. „Und auch private Geldspenden bekommen wir gerade mehr als noch vor ein paar Wochen“, sagt eine Mitarbeiterin der Stadtmission.

Das ist auch nötig. Obdachlose Menschen gehören zum Stadtbild in Berlin. Trotz Kälte, trotz der Corona-Pandemie: Rund um die Bahnhofsmission, am Ostbahnhof, in vielen Parks und Grünanlagen leben mittlerweile Menschen, bauen sich aus Matratzen und Zelten kleine Verschläge. In der Unterführung am Zoo schläft ein 24-Jähriger Mann. Seinen Namen will er nicht sagen. „Nenn mich den großen Gatsby“, sagt er verschmitzt.

Der 24-Jährige aus Mazedonien nennt sich „Der große Gatsby“ und hat keine Angst vor der Kälte. Er schläft auf mehreren Matraten in der unterführung (Foto: Olaf Selchow)
Der 24-Jährige aus Mazedonien nennt sich „Der große Gatsby“ und hat keine Angst vor der Kälte. Er schläft auf mehreren Matratzen in der Unterführung (Foto: Olaf Selchow)

Nicola (48) liegt ein paar Kilometer weiter ebenfalls auf ein paar Matratzen. Er hat sich unter der Hochbahn in Kreuzberg eine kleine Wohnung im Freien eingerichtet. Neben dem Bett gibt es einen kleinen Nachttisch, daneben eine „Küche“ mit Lebensmitteln. „Es ist kalt, aber nicht zu kalt“, sagt der Bulgare, der seit elf Jahren in Berlin lebt und sich auch tagsüber unter mehreren Decken verkriecht.

Nikola (48) lebt seit elf Jahren in Berlin und davon viele Jahre ohne eigene Wohnung. Er hat sich unter der Hochbahn ein kleines „Zimmer“ aus mehreren Matratzen und einem kleinen Nachttisch eingerichtet (Foto: Michael Hübner / nurfotos.de)
Nikola (48) lebt seit elf Jahren in Berlin und davon viele Jahre ohne eigene Wohnung. Er hat sich unter der Hochbahn ein kleines „Zimmer“ aus mehreren Matratzen und einem kleinen Nachttisch eingerichtet (Foto: Michael Hübner / nurfotos.de)

Adriana (42) will nicht auf der Straße schlafen. Die Polin sitzt in der Notunterkunft in der Lehrter Straße im Warmen. Zum ersten Mal öffnet die Einrichtung auch tagsüber ihre Türen drei Stunden lang für Bedürftige, statt wie die Jahre zuvor erst abends um 21 Uhr.

Adriana (42) stammt aus Polen, war dort lange im Gefängnis. Seit einem Monat schläft sie in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission auf einer Bank. Wegen der Kälte hat die Einrichtung auch tagsüber für drei Stunden geöffnet (Foto: Olaf Selchow)
Adriana (42) stammt aus Polen, war dort lange im Gefängnis. Seit einem Monat schläft sie in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission auf einer Bank. Wegen der Kälte hat die Einrichtung auch tagsüber für drei Stunden geöffnet (Foto: Olaf Selchow)

„So können sich die Menschen ausruhen und sind geschützt“, sagt Mitarbeiterin und Schichtleiterin Valeska Steinert (28). 30 Menschen sitzen an diesem Nachmittag bei Kaffee und Brötchen an Biertischen. Einer liegt auf einer Bank, drei sind im Raucherraum.

Teamleiterin Valeska Steinert (28, l.) und ihre beiden Mitarbeiterinnen Sophia (18) und Antonia (22) beherbergen bis zu 95 Menschen in der Notübernachtung und der Lehrter Straße (Foto: Olaf Selchow)
Teamleiterin Valeska Steinert (28, l.) und ihre beiden Mitarbeiterinnen Sophia (18) und Antonia (22) beherbergen bis zu 95 Menschen in der Notübernachtung und der Lehrter Straße (Foto: Olaf Selchow)

„Abends sind dann 95 Menschen hier und schlafen“, sagt Valeska Steinert. „Aber eigentlich müssten wir viel mehr aufnehmen. Der Andrang ist riesig.“


So können Sie helfen

In den Kleiderkammern werden warme Jacken und Männerschuhe knapp. Auch Decken, Schlafsäcke und Isomatten werden immer gebraucht. Spenden können rund um die Uhr am Zentrum der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße 68 abgegeben werden.

Wenn Sie nachts Menschen sehen, die Hilfe brauchen, erreichen Sie den Kältebus der Stadtmission unter der Nummer (0178) 523 58-38 von 20.30 Uhr bis 2 Uhr. Den Wärmebus des Roten Kreuz erreichen Sie von 18 Uhr – 24 Uhr unter (030) 600 300 1010.

Wichtig: Fragen Sie Obdachlose erst, ob sie wirklich Hilfe wollen, sonst rücken die Helfer unnötig aus.

In Notfällen immer die 112 wählen und Hilfe holen. Wer sich ehrenamtlich engagieren will, findet eine Liste der Einrichtungen der Kältehilfe und Kleiderkammern online: www.kaeltehilfe-berlin.de

Themen: Coronavirus Kältebus Obdachlose Winter
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale-Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.