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Brexit - Verhandeln wie Boris Johnson "Wenn du ein Problem lösen willst, musst du es größer machen"

Von Arvid Kaiser
Boris Johnson

Boris Johnson

Foto: Toby Melville/REUTERS

Der Deal ist da. Wer hätte das gedacht, noch vor wenigen Tagen, als der britische Premier Boris Johnson den Brexit mit dem Kopf durch die Wand durchsetzen zu wollen schien, kompromisslos gegenüber der EU ebenso wie den eigenen Parteifreunden und Verbündeten, der Opposition sowieso?

Selten war eine Verhandlung so komplex, so unter Zeitdruck und dazu noch im Licht der Öffentlichkeit. "Ob man das mag oder nicht, das hat Boris Johnson hinbekommen", sagt Lutz Kaufmann, Professor für Internationales Management an der WHU in Vallendar, der im "Advanced Negotiations Program" auch Manager schult.

Er sieht in dem Brexit-Deal ein brauchbares Lehrstück - besser als in solchen Seminaren oft simulierte Situationen wie Geiselnahmen oder Autoverkäufe: diese seien viel zu eindimensional.

"Wenn Verhandlungen zu einfach sind, dann gewinnt nur der Stärkere", sagt Kaufmann. Oft bekomme er das Beispiel von Startups zu hören, die nach einem Investor suchen und den Preis für Anteile hochtreiben wollen, nach dem Schema der "Höhle der Löwen". Das könne ja nur in einer "Fingerhakelei" enden. Kämen mehr Faktoren ins Spiel, lasse sich mit Verhandlungsgeschick auch für die schwächere Seite etwas machen. Von Boris lernen: "Wenn du ein Problem lösen willst, musst du es größer machen."

"Ein falsches Versprechen gilt als Lüge, eine falsche Drohung als Bluff"

Der Brexit zeige vor allem, wie wichtig die internen Verhandlungen innerhalb der eigenen Seite für die externen Gespräche seien. Auch in Unternehmen gebe es regelmäßig unterschiedliche Interessen, etwa zwischen Einkaufs- und Entwicklungsabteilung. Im britischen Regierungslager waren die Dissonanzen offensichtlich, bis hin zur Aufgabe der Parlamentsmehrheit durch den Rausschmiss von Abweichlern.

Die EU-Seite um Verhandlungschef Michel Barnier habe objektiv "bewundernswert" harmoniert, "weil man keine interne Front hat aufbrechen lassen". Auf der anderen Seite hätten die internen Differenzen für die Briten auch einen Nutzen gehabt: als Druckmittel gegenüber der EU. So habe Johnsons Vorgängerin Theresa May oft signalisieren können, sie sei ja zum Kompromiss bereit, könnte das so aber nicht in London durchsetzen - ein Argument, das man oft auch in der Unternehmenspraxis nutzen könne.

Johnson wiederum habe mit der glaubwürdigen Drohung zum "No Deal" die EU dazu gebracht, rote Linien zu überschreiten - und dann auch seine eigenen ultimativen Aussagen abgeräumt. Dass ihm diese Kehrtwende dauerhaft schade, glaubt Kaufmann nicht. "Das nimmt ja ohnehin keiner ernst. Ein falsches Versprechen wird als Lüge charakterisiert, eine falsche Drohung hingegen lediglich als Bluff." Ebenso wenig ernst zu nehmen seien die immer wieder aufgestellten Deadlines - aber gut, um Fokus und Fortschritt in die Gespräche zu bringen.

"In bestimmten Verhandlungspositionen sind solche Typen auch gut", sagt Kaufmann über den teils egomanisch erscheinenden Johnson. "Auch als Narzisst oder Machiavellist kann man beispielsweise gut mit Supply Chain Disruptions umgehen." Als Mitarbeiterin würde man eher Ms May einstellen wollen, jemand wie Johnson hingegen könne den Druck auf die Spitze treiben. Insgesamt sei Verhandeln jedoch ein Mannschaftssport mit verteilten Rollen, die persönlichen Eigenschaften der Verhandler seien am Tisch wichtig, würden für die Substanz des Ergebnisses aber überschätzt.

Als Verhandler dürfe man nichts persönlich nehmen, sagt der Verhandlungsexperte von der WHU. So wie Bundeskanzlerin Angela Merkel noch vor zwei Wochen von Johnson denunziert wurde, sie würde auch den Frieden in Irland "willentlich torpedieren" - "Man muss hinter die Scharmützel auf die Substanz gucken." Und da habe für beide Seiten wirtschaftlich einfach zu viel auf dem Spiel gestanden.

So zeigt sich Kaufmann auch überzeugt, dass am Ende ein Deal stehen werde - auch wenn nach dem Beschluss des britischen Parlaments an diesem Samstag die nächsten Hürden warten. "Es kann ja immer noch eine Verlängerung geben."