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Unter dem Radar Wie der Westen heimlich russisches Öl kauft

Die Spur führt aufs Meer: Viele Konzerne haben angekündigt, ihre Importe aus Russland massiv einzuschränken. Doch Schiffsverfolgungsdaten zeigen, dass EU-Staaten zuletzt wieder mehr russisches Öl eingeführt haben.
Tanker mit der Kennzeichnung "Bestimmungsort unbekannt": Oft ein Hinweis darauf, dass das Öl auf See gebracht, umgeladen und vermischt wird – das verschleiert die Herkunft

Tanker mit der Kennzeichnung "Bestimmungsort unbekannt": Oft ein Hinweis darauf, dass das Öl auf See gebracht, umgeladen und vermischt wird – das verschleiert die Herkunft

Foto: Marcos Moreno/ dpa

Shell, Total, Vitol – zahlreiche Ölhändler kündigten in den vergangenen Wochen angesichts des Ukraine-Krieges an, ihre Ölkäufe aus Russland massiv einzuschränken und mittelfristig komplett einzustellen. Auch Deutschland hat sich vorgenommen, bis Ende des Jahres die Menge des russischen Öls auf null herunterzufahren, bekräftigte Außenministerin Annalena Baerbock (41, Grüne) am Mittwoch.

Obwohl die Europäische Union (EU) noch kein offizielles Öl-Embargo erlassen hat, sanktioniert der Markt sich quasi selbst. Die Ölhändler sorgen sich um ihre Reputation, die der Handel mit Rohöl einer Regierung mit sich bringt, die der Kriegsverbrechen beschuldigt wird.

Aktuelle Daten zeigen jedoch, dass Russland zuletzt wieder mehr Öl an den Westen verkauft hat – und damit seinem Paria-Status auf den Weltenergiemärkten trotzt. Dazu nutzen die Beteiligten eine alte Praxis, die schon in der Vergangenheit Exporte aus sanktionierten Ländern wie dem Iran und Venezuela ermöglicht hat.

Im April stiegen die Ölexporte aus russischen Häfen in die Mitgliedstaaten der EU, die traditionell die größten Abnehmer von russischem Rohöl sind, auf durchschnittlich 1,6 Millionen Barrel pro Tag, wie das Wall Street Journal  mit Verweis auf TankerTrackers.com  mitteilte. Im März waren die Exporte nach der Invasion in der Ukraine zunächst auf 1,3 Millionen Barrel pro Tag zurückgegangen. Ähnliche Daten von Kpler, einem anderen Anbieter von Rohstoffdaten, weisen für April ebenfalls einen Anstieg der russischen Ölexporte in die EU aus.

Umladen und Mischen auf See verschleiert die Herkunft des Öls

Der simple Trick, den man aus den Schiffsverfolgungsdaten herauslesen kann: Verschifft wird das Öl aus russischen Häfen zunehmend mit angeblich unbekanntem Ziel. Nach Angaben von TankerTrackers.com  wurden im April bisher mehr als 11,1 Millionen Barrel in Tankschiffe verladen, die bei ihrem Start keine fest geplante Route hatten – mehr als in jedes andere Land. Vor dem Ukraine-Krieg kam das so gut wie nie vor. So hat sich ein undurchsichtiger Markt gebildet, der die Herkunft des Öls verschleiert.

Die Kennzeichnung "Bestimmungsort unbekannt" ist laut Analysten und Händlern ein Zeichen dafür, dass das Öl zunächst auf See zu größeren Schiffen gebracht und dort erneut verladen wird. Das Rohöl aus Russland wird dann an Bord mit der Schiffsladung aus anderen Herkunftsländern vermischt, sodass am Ende nicht klar ist, woher die Tankerfracht eigentlich stammt.

Ein Beispiel: In der vergangenen Woche übernahm ein Tanker vor der Küste von Gibraltar drei Ladungen Öl von Schiffen, die aus den russischen Ostseehäfen Ust-Luga und Primorsk ausgelaufen waren, wie Schiffsverfolgungsdaten zeigen und die Betreiber des Schiffes und an dem Umschlag beteiligte Personen berichteten. Schiffsaufzeichnungen zeigen, dass der Tanker seine Route in Südkorea startete und nun Rotterdam ansteuert, einen der wichtigsten Umschlagplätze für den europäischen Ölhandel.

Abnehmer profitieren von Rabatten

Dass die Herkunft des Öls auf diese Weise verschleiert wird, kommt den Abnehmerländern aus mehreren Gründen zupass: Sie gelangen so weiterhin an dringend benötigtes Rohöl, um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten, und verhindern weitere Anstiege der Kraftstoffpreise auf dem heimischen Markt. Gleichzeitig profitieren sie von hohen Rabatten im Vergleich zu nicht-russischem Rohöl. Das russische Urals war am 20. April rund 37 US-Dollar günstiger  als die Nordsee-Sorte Brent. Vor der Invasion Russlands in der Ukraine lag der Preis in der Regel auf dem Niveau der Referenzsorte oder ein bis zwei Dollar darunter.

Hinzu kommt die Angst vor einem Imageschaden. Schließlich spülen die Transaktionen bares Geld in Moskaus Kriegskasse. Welchen Schaden dies am Ruf eines Unternehmens anrichten kann, erlebte zuletzt Shell, als der Ölriese zu Schnäppchenpreisen russisches Öl geordert hatte und dafür einen Shitstorm kassiert hatte.

Für Russland ist der Ölverkauf eine existenzielle Säule. "Das Öl sorgt fürs Geld, und das Gas sorgt für die Macht", sagte der Energieexperte Steffen Bukold. Seit dem Krieg hat das Land Schwierigkeiten, Abnehmer für sein Öl zu finden, was der heimischen Ölindustrie stark zusetzt.

Die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und Australien haben die Einfuhr von russischem Öl bereits verboten. Auch die europäischen Staats- und Regierungschefs arbeiten an einem ein Öl-Embargo. Die EU ist mit einem russischen Anteil von 27 Prozent an seinen Ölimporten stärker von Russland abhängig. Seit dem Beginn des Krieges schränkten nicht nur viele europäische Energieunternehmen ihre Ölkäufe aus Russland ein, auch die Bankfinanzierung und hohe Versicherungskosten erschwerten den Handel.

"Es geht auch um billige Energie"

Der Anstieg der Lieferungen nach Europa im April sowie derjenigen, die ohne Bestimmungsort gekennzeichnet sind, deutet darauf hin, dass einige Unternehmen Lösungen gefunden haben, diese zu umgehen. Von den Lieferungen, die mit einem eindeutigen Bestimmungsort gekennzeichnet sind, geht in diesem Monat unter anderem deutlich mehr Öl in die Niederlande. Von dort importiert auch Deutschland einen großen Teil seines Öls.

Einige Händler begründen ihre Einkäufe in Russland damit, dass sie vor der Invasion geschlossene Verträge erfüllen müssten. Simon Johnson, Wirtschaftsprofessor am MIT, der sich mit der Geopolitik des Erdöls befasst und früher Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, hält diese Argumentation jedoch für einen Vorwand. "Die Tatsache, dass sie mehr kaufen als vor der Invasion, deutet darauf hin, dass es nicht nur an den langfristigen Verträgen liegt", sagt Johnson. "Es geht auch um billige Energie. Solange es kein vollständiges Embargo gibt, kann das so weitergehen".

dri