Die Zentrale der Bank Lviv befindet sich in einem 500 Jahre alten Gebäude mitten in der malerischen Altstadt von Lwiw (Lemberg). (Bild: PD)

Die Zentrale der Bank Lviv befindet sich in einem 500 Jahre alten Gebäude mitten in der malerischen Altstadt von Lwiw (Lemberg). (Bild: PD)

Eine ukrainische Bank wirbt mit dem Schweizerkreuz

Die Bank Lviv aus der westukrainischen Metropole Lwiw hat seit kurzem Schweizer Eigentümer. Ihre Geschichte erzählt von Krise und Aufbruch in einem postrevolutionären Land.

Matthias Benz, Lwiw
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Die Werbung lässt sich nicht übersehen: «Zuverlässige Bank mit Schweizer Inhabern», steht weiss auf rotem Grund. Daneben prangt ein auffälliges Schweizerkreuz. Mit dieser Affiche geht die Bank Lviv aus der westukrainischen Metropole Lwiw (Lemberg) seit einigen Monaten auf Kundenfang. Ob auf den Plakaten oder der Website der Bank – das Schweizerkreuz ist omnipräsent. Seit Mitte 2018 gehört das Institut mehrheitlich einer Schweizer Beteiligungsgesellschaft, die vom Zürcher Unternehmen Responsability, einem Spezialisten für nachhaltige Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern, verwaltet wird.

Natalia Osadcii, Co-Leiterin der Bank Lviv. (Bild: PD)

Natalia Osadcii, Co-Leiterin der Bank Lviv. (Bild: PD)

«Für uns ist es sehr wichtig, dass wir mit dem Schweizer Eigentümer werben können», erklärt Natalia Osadcii, die zusammen mit drei Kollegen die Bank Lviv leitet. Vom Hauptsitz, der sich in einem über 500-jährigen Gebäude befindet, streift der Blick über den prächtigen historischen Marktplatz von Lwiw. «Als wir mit der Werbung begonnen haben, machten die Kundeneinlagen einen Sprung nach oben», erläutert Osadcii. Offensichtlich interessieren sich die Ukrainer brennend dafür, wem eine Bank gehört. Das hat viel mit der jüngeren Geschichte des Landes zu tun und mit einem Bankensektor, der das Vertrauen der Menschen erst zurückgewinnen muss.

Tiefe Spuren der Krise

Margeir Petursson, früherer Alleineigentümer (Bild: PD)

Margeir Petursson, früherer Alleineigentümer (Bild: PD)

Die Bank Lviv hat schwierige Jahre hinter sich. Sie wurde von der Wirtschaftskrise, in die die Ukraine nach dem Euromaidan-Umsturz von Anfang 2014 geriet, hart getroffen. «Es war ein Gang durch die Hölle», erinnert sich der damalige Alleineigentümer Margeir Petursson. «Jeden Morgen fragte ich mich, welche Probleme ich wohl heute haben würde.» Der Isländer mit einem Faible für Osteuropa hatte die Kleinbank im Jahr 2006 gekauft, als die Ukraine in einer Boomphase war. Dann ging es nur noch ums Überleben. «Wir mussten die Kunden beruhigen und nach Wegen suchen, wie wir gemeinsam durch die Krise kommen.»

Die Ukraine erlebte damals einen eigentlichen Sturm auf die Banken. Nach dem Euromaidan-Umsturz entluden sich die ökonomischen Ungleichgewichte, die sich während der von Misswirtschaft geprägten Ära Janukowitsch aufgestaut hatten. So hatte die Notenbank fast die ganzen Währungsreserven ausgegeben, um den Kurs der Landeswährung Hrywna gegenüber dem Dollar künstlich hoch zu halten. Das animierte die Ukrainer auch zu übermässigem Konsum, was zu einem grossen Defizit im Aussenhandel führte. Das Kartenhaus stürzte ein, als die Ukraine wegen der russischen Aggression im Osten des Landes in arge wirtschaftliche und finanzielle Nöte geriet. Die Notenbank musste die Währung freigeben, die Hrywna verlor schlagartig an Wert. «Alle wollten ihr Geld abheben», erinnert sich Petursson. Aber Dollars durfte man nicht herausgeben, weil die Notenbank strikte Kapitalverkehrskontrollen verhängt hatte.

Die Krise hinterliess im ukrainischen Bankensektor tiefe Spuren: Rund die Hälfte der Finanzinstitute ist seither untergegangen oder von der Aufsicht geschlossen worden. Viele Banken hatten ihren oligarchischen Eigentümern nur als «Staubsauger» gedient: Man zog Kundeneinlagen an, um diese dann in Form von fragwürdigen Krediten an eigene Schwesterfirmen weiterzureichen. Als solche Banken in Konkurs gingen oder ihr zwielichtiges Geschäftsmodell von der nach dem Euromaidan modernisierten Aufsicht unterbunden wurde, verloren viele Privatkunden und Firmen ihre Ersparnisse. Daher rühren das Misstrauen der Ukrainer gegenüber den Banken und ihr grosses Interesse daran, wem ein Institut gehört.

Die Altstadt von Lwiw ist geprägt von einer jahrhundertelangen Zugehörigkeit zum österreichischen Kaiserreich und zur polnischen Krone. (Bild: PD)

Die Altstadt von Lwiw ist geprägt von einer jahrhundertelangen Zugehörigkeit zum österreichischen Kaiserreich und zur polnischen Krone. (Bild: PD)

Sprung in die Lücke

Die Bank Lviv gehörte nicht zur Gruppe der zwielichtigen Geldhäuser. Sie war stets solide und konservativ geführt worden, sie verfügte im Prinzip über genügend Kapital und hatte vergleichsweise wenige faule Kredite in den Büchern. Aber als sich die Lage einigermassen stabilisiert hatte, fasste der Alleineigentümer Petursson den Entschluss, sich einen Partner zu suchen. «Es war mir klar: Wenn ich die Bank weiterentwickeln wollte, würde ich das nicht allein schaffen», meint er rückblickend. So kam er mit der Schweizer Responsability ins Gespräch.

Die Schweizer stellten klare Bedingungen. «Zunächst nahmen wir uns viel Zeit, um die Bank auf faule Kredite zu überprüfen», erklärt der Verantwortliche bei Responsability, Scott Richards. «Wir wollten keinen Sanierungsfall, sondern eine Bank, mit der wir auf Wachstum setzen können.» In einem zweiten Schritt liessen die Schweizer Mitte 2017 ein neues Management mit viel Bankerfahrung in Zentral- und Osteuropa einsetzen. Neben der Moldauerin Natalia Osadcii leiten die Georgierin Tamar Tkhelidze, der Ukrainer Viktor Khimyak und als Chef der Armenier Ashot Abrahamyan das Institut. Erst, als die Neuausrichtung zu fruchten begann, übernahm die von Responsability geführte Beteiligungsgesellschaft im Sommer 2018 von Petursson 51% der Aktien. Richards begründet das Investment so: «Wir sehen bei der Bank Lviv grosses Wachstumspotenzial, zumal sich andere Institute vollständig aus dem Geschäft mit KMU- und Agrarfinanzierungen zurückgezogen haben.»

Viel Aufbauarbeit

Das neue Management steht vor Herausforderungen, die viel über die Ukraine und ihre Wirtschaft aussagen. «Die erste grosse Aufgabe lautet, das personelle Know-how für ein modernes Banking aufzubauen», erklärt die Managerin Osadcii. Viele Mitarbeiter waren es etwa nicht gewohnt, dass man aktiv Kredite vermarkten könnte. Die Bank wechselte einen Drittel der Mitarbeiter aus, besetzte alle Schlüsselpositionen neu und richtete eine eigene Banking-School ein, um selbst Talente zu fördern. Der Prozess der Kreditvergabe und Kundengewinnung wurde komplett modernisiert.

In den kommenden Jahren will die Kleinbank jetzt stark wachsen. Die Zielgruppe sind vor allem die die Westukraine prägenden Klein- und Mittelbetriebe. Dazu gehören etwa Restaurants im florierenden Tourismusgewerbe von Lwiw: Die malerische Stadt, die jahrhundertelang zum österreichischen Kaiserreich und zur polnischen Krone gehörte, zieht immer mehr Reisende an. Zu den Kunden zählen auch kleine Industriefirmen, die dank den äusserst niedrigen Löhnen günstig exportieren können. Oder Betriebe in der Landwirtschaft, die in der Ukraine ein enormes Potenzial hat. Da in der Region Lwiw die Wirtschaftsaussichten derzeit ziemlich gut sind, gibt es eine hohe Nachfrage nach Krediten.

Die straffste Geldpolitik der Welt

mbe. · Wer mit den Nullzinsen in Westeuropa unzufrieden ist, kann einen Blick in die Ukraine werfen. Bei der Bank Lviv bekommt man auf Kundeneinlagen einen Jahreszins von 17%, ein Kredit kostet 20% pro Jahr. Für dieses hohe Zinsniveau ist wesentlich die Nationalbank der Ukraine verantwortlich. Sie hält den Leitzins derzeit bei 18%. Da die Jahresteuerung nur 8 bis 9% beträgt, ergibt sich daraus ein Realzins von 9 bis 10%. Das liegt im internationalen Vergleich sehr hoch. «Wir haben die straffste Geldpolitik in Europa», hört man in der Ukraine immer wieder. Wahrscheinlich ist es derzeit sogar die restriktivste Geldpolitik der Welt.

Mit ihrer harten Haltung hat sich die Nationalbank viele Feinde gemacht. Zahlreiche Politiker und Geschäftsleute werfen ihr vor, sie würge die Wirtschaft ab. Die Kredite seien viel zu teuer, deshalb werde wenig investiert. Tatsächlich ist es ein kleines Wunder, dass bei diesem Zinsumfeld die ukrainische Wirtschaftsleistung jüngst real doch um rund 3% zu wachsen vermochte. Das liegt auch daran, dass viele Unternehmen ihre Expansion nicht mit Krediten, sondern aus eigenen Mitteln finanzieren.

Mit der niedrigen Durchdringung an Krediten gilt die Ukraine als «underbanked». Zudem haben breite Bevölkerungsschichten eine hohe Präferenz für Bargeld und Wertsachen, die sie unter der sprichwörtlichen Matratze oder im Banktresor horten. Auch dies spiegelt das geringe Vertrauen der Ukrainer in die Bankenbranche.

Die Nationalbank hat freilich gute Gründe für ihre äusserst straffe Geldpolitik. In der Krise von 2014/15 verlor die Hrywna stark an Wert, und die Inflationsrate sprang auf 50%. Zur Stabilisierung waren starke Zinserhöhungen nötig. Jüngst hat sich zwar die Inflationsrate auf die erwähnten 8 bis 9% zurückgebildet, aber der Notenbank ist dieser Wert immer noch zu hoch. Sie hält deshalb entgegen allen politischen Widerständen an ihrer restriktiven Geldpolitik fest. Damit beweist sie auch ihre Unabhängigkeit. Seit dem Euromaidan ist die Notenbank unter neuer Führung zu einer der erfolgreichsten Reformgeschichten des Landes geworden. Während sie früher ein bürokratischer Koloss in sowjetischer Tradition gewesen ist, betreibt sie heute Geldpolitik und Bankenaufsicht weitgehend nach westlichen Standards.

Die zweite Hauptaufgabe liegt darin, das Vertrauen der Menschen in die Banken zurückzugewinnen. Dabei hilft der Bank Lviv die Schweizer Eigentümerschaft stark. Auch andere ausländische Banken wie die lokale Tochter der österreichischen Raiffeisen Bank International (RBI) geniessen in der Ukraine einen Vertrauensvorschuss. Die Menschen wollen es allerdings genau wissen. «Die Kunden fragen uns: Ist dieser Haupteigentümer wirklich aus der Schweiz, oder ist es nur ein Ukrainer mit Schweizer Wohnsitz?», erklärt Osadcii. Dass hinter Responsability vor allem Schweizer Finanzinstitute stehen, findet bei den Kunden Gefallen.

Kampf gegen Auswanderung

Eine dritte Schwierigkeit für die Bank Lviv ist es, genügend geeignetes Personal zu finden. Die Ukraine hat seit der Krise von 2014/15 eine grosse Auswanderungswelle erlebt. Rund 1 Mio. Landsleute arbeiten allein im benachbarten Polen, wo die Durchschnittslöhne drei- bis viermal höher liegen. Die Lwiwer Banker konkurrieren mithin direkt mit polnischen Firmen jenseits der nur 70 km entfernten Grenze. «Das ist wohl unsere grösste Herausforderung», meint Osadcii. Als Gegenstrategie erhöht man mehrmals im Jahr die Löhne – jüngst um über 30% auf Jahresbasis. Universitätsabsolventen sucht man zudem mit der Aussicht zu locken, dass man bei der Bank Lviv eine Karriere als professioneller Banker in einem modernen Umfeld machen kann.

Schliesslich will die Bank Lviv eine «saubere» Bank sein. Das ist keine geringe Aufgabe, denn die endemische Korruption gehört immer noch zu den dunkelsten Flecken der Ukraine. Wie kann man da korrekt geschäften? Laut Osadcii braucht es eine klare Haltung: «Wir pflegen eine Meritokratie und stellen niemanden nur aufgrund von Beziehungen ein. Wir vergeben keine Kredite gegen Schmiergelder. Wir halten uns von Unternehmen mit zwielichtigen Geschäftsmodellen fern. Und wir zahlen keine Bestechungsgelder an Behörden.»

Banking mit Mission

So will die Bank Lviv auch einen Beitrag dafür leisten, dass sich in der Ukraine eine saubere Wirtschaft entwickeln kann. Damit passt das Institut ganz gut ins Portfolio der Schweizer Responsability. Diese verfolgt mit ihren Investments nicht nur geschäftliche Interessen, sondern vor allem auch Entwicklungsziele. Bankdienstleistungen zu Menschen und Unternehmen zu bringen, die sonst keinen Zugang dazu hätten – so lautet ein zentraler Anspruch. Responsability hat in den 2000er Jahren als Mikrofinanzpionier begonnen. Jetzt tragen die Zürcher ihren Teil dazu bei, dass der Bankensektor und die Wirtschaft in der Ukraine vorankommen.