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Pop-Hoffnung Drangsal Der Weirdo vom Dorf

Fremdkörper sein, anecken, rebellieren, das geht nur in der Provinz. Ein Besuch im Heimatdorf des Sängers Drangsal, der als flamboyanter Gegenentwurf zur Pop-Langeweile begeistert.
Max Gruber alias Drangsal

Max Gruber alias Drangsal

Foto: Jim Rakete

In Herxheim bei Landau gibt es vier Supermärkte, drei Fahrschulen, zwei Möbelhäuser, eine Motorrad-Rennbahn und neuerdings eine Pophoffnung. An Möbel Gilb und Möbel Weber vorbei, zwischen Festhalle und Sozialstation sitzt diese in Gestalt von Max Gruber auf der aschgrauen Eckcouch im Wohnzimmer seiner Eltern. "Erwartet man jetzt nicht, wenn man die Musik hört, oder?", fragt er, während er seinen Perserkater Milow streichelt und zum Beweis durch den liebevoll-herkömmlich dekorierten Raum zeigt.

Tatsächlich ist dieses südpfälzische Ambiente der größtmögliche Kontrast zu Grubers Musik. Vor den mit weißen Holzherzen behangenen Fenstern regnet es auf fast schon beleidigend saubere Straßen. Es wirkt, als wäre die Kehrwoche aus dem nahen Baden-Württemberg rüber in die Südliche Weinstraße geschwappt: Die Mülltonnen vor den konventionell renovierten Einfamilienhäusern stehen allesamt am rechten Platz, die Holzläden sind frisch lackiert, die Hecken gerade und mit ihnen die Welt vermeintlich auch.

In dieser über Generationen kultivierten Kleinstadtordnung wirkt der 22-jährige Gruber wie ein Fremdkörper. Er trägt die britische Frühachtziger-Wave-Uniform: Hose knapp unterm Bauchnabel, eingestecktes graues Hemd, beide Ohren gepierct. Sein schmaler, groß gewachsener Körper ist mit Tätowierungen übersät, "Viva Hate" auf der Brust, "Still Ill" auf den Knien, "Drangsal" auf dem rechten Arm.

Wie eine Kopie des Achtzigerjahre-Sounds

Drangsal, so nennt sich Max Gruber als Musiker - und so klingt er auch. Er spielt orchestralen, nervösen Breitwand-Pop, der in dieser Form schon vor 20 Jahren als aus der Zeit gefallen galt. In Kooperation mit dem Produzenten Markus Ganter (Casper, Tocotronic) türmt Gruber Gitarren, Bässe, Synthesizer und was der Rechner sonst noch an Instrumenten hergibt mit dem großen Löffel übereinander, bringt ihre Klänge stilsicher in eingängige Pop-Form, setzt ein paar möglichst anschmiegsame Refrains zwischen die Strophen und trägt dazu schablonenhafte Zeilen wie "Love me or leave me alone" oder "Do the dominance dance" vor.

Klingt furchtbar altbacken? Ist es auch. Wie eine dreiste Kopie des Achtzigerjahre-Sounds um The Human League, Frankie Goes to Hollywood und Prefab Sprout? Ebenfalls richtig. Viel wichtiger aber: Drangsal wirkt wie ein Relikt aus Zeiten, als Rock- und Popmusik noch Wagnisse sein durften.

Drangsals Debütalbum "Harieschaim" ist kitschig, schmierig, eingängig und geglättet. Es ist derselbe Sound, den jene Rockfans, die Wörter wie schwul als Schimpfwort benutzen, schon vor 35 Jahren als vertonte Peinlichkeit belächelten; und seine Macher als Schwuchteln. Nun hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten gesellschaftlich vieles zum Positiven gewandelt - auch im Rock. Dennoch ist die deutsche Rockmusik, abgesehen natürlich von offensichtlichen Gegenbeispielen wie Tocotronic, Blumfeld und einigen anderen, nie wirklich den Zeiten von Kerlen und Schwuchteln entwachsen. Seit Jahren konsultiert sie zwanghaft eine vermeintliche Echtheit, die es nie gab.

"Alle wollen so authentisch sein"

Die Folge ist eine klinische Depression: Rock ist müde geworden, braucht Sicherheit, möchte sich nicht mehr angreifbar machen. Sondern gefallen. Denn heute kauft doch ohnehin niemand mehr Rockmusik, außer die von Revolverheld vielleicht. Und die sind, trotz Gefühlen, immer noch Kerle.

Am Ende steht der Status quo: Orientierungslosigkeit zwischen trockenem Diskurs des Debattierclub-Pops aus Hamburg und Berlin und stumpfer Pseudo-Kantigkeit im Stile AnnenMayKantereits. Flamboyanz und schamloser Pomp? Igitt! Drangsal grätscht nun dazwischen, wirft Geschmacksgrenzen und vermeintliche Authentizität nonchalant über Bord. Er ist gerne angreifbar und eckt noch lieber an. Und ist damit genau das, was deutsche Popmusik braucht.

Drangsal: "Alle wollen so authentisch sein, das ist schrecklich"

Drangsal: "Alle wollen so authentisch sein, das ist schrecklich"

Foto: Jim Rakete

Max Gruber selbst findet die deutsche Poplandschaft schlicht "langweilig". "Alle wollen so authentisch sein, das ist schrecklich." "Isolation Berlin zum Beispiel", holt er aus, während Mutter Simone Kaffee in geblümten Tassen bringt und warnt, dass Max "manchmal sehr direkt" sei. "Schau dir den Sänger an", sagt ihr Sohn unbeirrt. "Der stellt sich mit fast dreißig auf die Bühne und erzählt, dass er auch nach dem fünften Mal wichsen nicht glücklich ist." Gruber gähnt. Betont gelangweilt schiebt er nach: "Kein Wunder, dass Rock den Bach runter geht, wenn das als gute Musik durchgeht." Für ihn ist all das weder originell, noch provokant oder echt. Sondern: "Eine ziemlich doofe Pose."

Der Indie-Geschmackspolizei vor den Kopf stoßen

Für Drangsal kommen derartige Attitüden nicht infrage: "Ich kann nur ich selbst sein", sagt Gruber. "Nämlich ein arschlangweiliger Stubenhocker-Typ mit Spaß am Pop." Warum also etwas vorgaukeln? Liegt in der Absage an Mythen und Metaebenen nicht mittlerweile die letzte verbliebene Provokation? Braucht man noch ein Alter Ego, wenn in einem selbst schon genug Auflehnung schlummert?

Bei Gruber sind die Kunstfigur Drangsal und der Mensch Max deckungsgleich. Natürlich möchte er provozieren, das merkt man an seiner angriffslustigen Art, seinen Aussagen. "Aber nicht im klassischen Sinn, mit verrückten Kleidern oder angeblich anstößigen Textzeilen." Gruber hat ein anderes Feindbild: "Ich will diese verstockte Indie-Geschmackspolizei vor den Kopf stoßen."

Wie das funktioniert? "Ich mache Interviews mit der 'Bild'-Zeitung, sage offen, dass ich in die Charts will, engagiere Jenny Elvers für mein Video, freue mich ehrlich über jede Art von Aufmerksamkeit und versuche, zu jedem nett zu sein", zählt er auf. "Das würde sich keine der coolen Bands trauen, weil die Leute das ätzend finden könnten."

Wie der junge Falco - ohne Kokain

Man könnte sagen: Gruber ist wie der junge Falco ohne Kokainproblem. Auch der Österreicher kam aus dem Underground, machte aber im Grunde nur Musik, um diesen schleunigst verlassen zu können. Der Unterschied: Falco war von Größenwahn getrieben. Drangsal hingegen treibt die Langeweile: "Mir fehlt im deutschen Pop eine Person, die Begeisterung hervorrufen kann", sagt Gruber. Und meint damit Leute wie einst Morrissey oder Boyd Rice - und, ja, auch sich selbst.

Doch wie kann so jemand aus einem stockspießigen Nest wie Herxheim kommen? Ist Pop und dessen Dehnung nicht eigentlich Sache der Ballungsgebiete? "Nicht mehr", antwortet Gruber prompt. "Das Album konnte nur in diesem Biotop entstehen." Er weiß, wovon er spricht. Schließlich kennt er beides, jüngst zog er zum zweiten Mal nach Berlin.

Die erste Stippvisite lief schief, Gruber fuhr aus Angst keine U-Bahn, mied Klubs und deren Bevölkerung, kannte niemanden in der grauen, kalten Metropole. Schnell flüchtete er nach Leipzig, in eine WG mit Fabian Altstötter von der Indiepop-Band Sizarr. Nun also wieder die Hauptstadt, diesmal jedoch das wenig beachtete Schöneberg. "Weil ich dort keine jungen, hippen Leute sehen muss und mich niemand zwingt rauszugehen."

Pfälzisch im AC/DC-Hoodie

Im Herzen ist Gruber ein Dorfmensch geblieben. Er benannte "Harieschaim" auch deshalb nach der ersten urkundlichen Erwähnung seines Heimatorts von 773. Gruber schätzt den kleinen Rahmen der südwestdeutschen Anstandsbastion: "Hier lernst du, wirklich anders zu sein." "In einem spießigen Umfeld fällt Rebellion leicht, man lackiert sich mit 16 die Nägel und der Ort will Fackeln und Mistgabeln rauskramen."

Als Weirdo vom Dorf muss man sich verteidigen, für sich einstehen - und entwickelt damit im besten Fall schon früh ein gesundes Selbstbewusstsein. Wie Gruber: "Man hört 'Harieschaim' an, dass ich mich durchkämpfen musste, auf persönlicher wie musikalischer Ebene." Und fügt hinzu: "Dieses Gesamtpaket Drangsal hätte es in Berlin nie gegeben. Dort wäre ich ja nie angeeckt und hätte nie gelernt zu überleben."

Max Gruber steht nun auf der Veranda zwischen Kakteen und einer zum Goldfischteich umfunktionierten Steinwanne. Die Mutter seines Live-Schlagzeugers Christoph Kuhn ist vorbeigekommen, um ihm ein Becken mit nach Berlin zu geben. Die beiden tratschen angeregt auf Pfälzisch, Vater Uwe schaut im AC/DC-Hoodie zu und raucht. Ganz normal eigentlich, fast schon spießig. Und gleichzeitig der Beweis, dass die Revolte heute aus dem Dorf kommt. In Berlin wohnt das Bürgertum.

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Foto: Caroline

Drangsal:
Harieschaim

Caroline (Universal Music); 1 CD; 16,99 Euro.

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