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Bundeskanzlerin Merkel in Sachsen Mehr ungewollter Wahlkampf geht nicht

Zuletzt hieß es, die Kanzlerin sei im ostdeutschen Wahlkampf unerwünscht. Nun absolvierte sie zwei Termine in Görlitz und Dresden - es war ein versöhnlicher Tag.
Bundeskanzlerin Angela Merkel machte in Sachsen Wahlkampf für die CDU, der eigentlich gar nicht gewollt war

Bundeskanzlerin Angela Merkel machte in Sachsen Wahlkampf für die CDU, der eigentlich gar nicht gewollt war

Foto: Jens Schlüter/EPA-EFE/REX

Die Bundeskanzlerin macht ein ernstes Gesicht, als sie im Siemens-Werk in Sachsen vor die Kameras tritt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Siemens-Chef Joe Kaeser stehen nur ein paar Meter hinter ihr. Der "Michael" habe hier ja schwierige Zeiten hinter sich, sagt sie in ihrem Statement. Nun könne man nur hoffen, dass es mit der Stadt wieder bergauf gehe und es bald wieder Zuwanderung gebe. Sie sei da zuversichtlich.

Die wenigen Sätze sind ein Eingeständnis. Obwohl sie selbst Ostdeutsche ist, wurde sie in der Vergangenheit hier immer wieder angefeindet und auf offener Bühne ausgebuht. Allein deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Kanzlerin von ihrer eigenen Partei nicht mehr allzu gern als Gast gesehen war. "Ein Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin wird uns in Sachsen nicht helfen", sagte der sächsische CDU-Landtagspräsident Matthias Rößler im Februar dem SPIEGEL. 

Nun erschien Merkel am Montag allerdings doch: Gleich zwei Wohlfühltermine hatte man für die Regierungschefin gefunden. Während sie am Nachmittag in Görlitz das dortige Siemens-Werk besuchte, wo hundert neue Arbeitsplätze angekündigt wurden, nahm sie am Abend in Dresden an einem "Frauennetzwerktreffen" der sächsischen Staatkanzlei teil. Ein offizieller Wahlkampftag war es nicht, als solcher jedoch kann er nur verstanden werden. Am 1. September wird in Sachsen der neue Landtag gewählt. Seit der Wiedervereinigung hat die CDU hier eigentlich immer haushoch gewonnen - nun könnten Verluste anstehen; da ist offenbar jede Hilfe gern gesehen. Die CDU-Botschaft des Tages mit der Kanzlerin könnte man in etwa so zusammenfassen: "Ja, wir kümmern uns".

Das Herz einer Physikerin

Zuerst gekümmert hat man sich um Görlitz. Vor zwei Jahren sollte das Siemens-Werk geschlossen werden, Proteste konnten das verhindern. Die Politik und der Konzern versprachen, sich eine Alternative zu überlegen. Und genau diese präsentierte man nun: Es soll ein Innovationscampus entstehen, auf dem Siemens und das Fraunhofer Institut die Wasserstoffforschung vorantreiben sollen. 30 Millionen Euro kostet das.

Angela Merkel interessierte sich für die Arbeit im Siemens-Werk

Angela Merkel interessierte sich für die Arbeit im Siemens-Werk

Foto: Filip Singer/EPA-EFE/REX

Dies sei "ein Signal an diejenigen, die Ängste und Sorgen der Menschen für ihre Ziele nutzen", sagte Kaeser in Richtung AfD. Im Mai hätte es fast ein Politiker der Rechtsaußenpartei an die Spitze des Görlitzer Rathauses geschafft. Der Siemens-Manager hatte sich zuletzt stark gegen rechte Parolen positioniert. Die Kanzlerin war etwas weniger euphorisch. Größter emotionaler Ausbruch war, als man ihr die Turbinen zeigte. "Das lässt mir als Physikerin das Herz natürlich höher schlagen."

Termin Nummer zwei hatte zumindest zu Beginn einen Schönheitsfehler: Ausgestiegen aus der schwarzen Limousine in Dresden, musste Merkel im royalblauen Blazer vorbei an ein paar Deutschlandfahnen und gut 50 "Merkel muss weg"-Brüllern. Die Kanzlerin nahm es gelassen, kein Wort war von den Pegidisten im Saal zu hören. Stattdessen sagte Merkel Sätze wie "verschiedene Charaktere und Geschlechter bereichern uns". Und verbündete sich mit den sächsischen Frauen: "Sachsen wäre nicht Sachsen, und Sachsen hat viel geschafft, wenn nicht Frauen mit angepackt hätten."

Ein versöhnlicher Tag für die ostdeutsche Bundeskanzlerin

Bei einer Veranstaltung im Westen habe man sie in ihrer Zeit als Frauenministerin mal darauf angesprochen, dass die Frauen im Osten ja viel mehr Rente bekämen. "Da habe ich gesagt: Naja, die haben ja auch gearbeitet. Da war was los." Die Lacher am Abend hatte sie auf ihrer Seite - und vermittelt so den paar hundert ostdeutschen Frauen, dass sie eben doch eine von ihnen ist.

Angela Merkel (M.) und Michael Kretschmer nahmen an einer Podiumsdiskussion anlässlich des "Frauennetzwerktreffen" teil

Angela Merkel (M.) und Michael Kretschmer nahmen an einer Podiumsdiskussion anlässlich des "Frauennetzwerktreffen" teil

Foto: Jens Schlüter/EPA-EFE/REX

Bei der anschließenden Fragerunde zeigte sich Merkel fachlich ausdauernd. "Schicken Sie mir das mal zu", sagt sie. "Sprechen Sie mich dazu noch mal an", und sowieso: "Ich schicke Ihnen da was." Will sagen: Merkel kümmert sich - auch um den Osten, erst recht um die Frauen.

So will es auch Ministerpräsident Kretschmer verstanden wissen, der den ganzen Tag über immer wieder betonte, "was wir alles der Bundeskanzlerin zu verdanken haben" und "wir haben eine Kanzlerin, die Zusagen macht, die sie einhält". Mehr Wahlkampf mit der Kanzlerin, den man eigentlich nicht wollte, geht praktisch nicht.

Relativ spät, kurz bevor Merkel von Dresden wieder Richtung Berlin aufbricht, betont Kretschmer noch einmal, wie die Kanzlerin das alles gemeistert habe. Die Finanzkrise und so weiter. "Das ist nämlich die Wahrheit", sagt er. "Ja, so könnte man das sehen", sagt Merkel und schaut ins Publikum. Es war ein versöhnlicher Tag für die ostdeutsche Bundeskanzlerin.