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Kritik in Brüssel Ärger um deutsche Impfstoff-Alleingänge

Deutschland hat sich bei Biontech und Curevac 50 Millionen Dosen Corona-Impfstoff gesichert – obwohl parallel die EU-Verhandlungen liefen. In Brüssel sorgt das für Irritationen, sogar von einem möglichen Rechtsbruch ist die Rede.
Von Markus Becker, Brüssel
Gesundheitsminister Spahn: Kritik an Impfstoffdeals außerhalb der EU-Strategie

Gesundheitsminister Spahn: Kritik an Impfstoffdeals außerhalb der EU-Strategie

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ANDREAS GORA/POOL/EPA-EFE/Shutterstock

Die bilateralen Deals des Gesundheitsministeriums mit mehreren Impfstoffherstellern bringen der Bundesregierung den Vorwurf ein, unsolidarisch gehandelt und womöglich auch EU-Recht gebrochen zu haben. Das Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich nach eigenen Angaben 30 Millionen Impfdosen bei Biontech, 20 Millionen bei Curevac und fünf Millionen bei IDT Biologika gesichert – außerhalb der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung der EU.

Zwar sollen die Ampullen erst nach den EU-Bestellungen ausgeliefert werden. Für Aufsehen sorgen in Brüssel aber insbesondere die Vorverträge mit Biontech und Curevac. Wie das Gesundheitsministerium dem SPIEGEL bestätigte, kamen sie am 8. September und 31. August zustande – in einer Zeit also, als die Verhandlungen der EU-Kommission mit den Herstellern noch liefen.

Die Bundesregierung hatte sich jedoch wie alle anderen EU-Länder vertraglich verpflichtet, keine eigenen Bestellverhandlungen mit Impfstoffproduzenten zu führen, mit denen zugleich auch die EU redet. Laut der Vereinbarung  ist schon die Aufnahme von Verhandlungen nicht gestattet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigte das am Freitag persönlich: »Wir haben uns alle rechtsverbindlich dazu verpflichtet, dass es keine parallelen Verhandlungen geben wird.«

Verdacht des Rechtsbruchs

Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass die Verhandlungsposition der EU, die sich im Juni auf eine gemeinsame Impfstoffstrategie geeinigt hatte, gegenüber den Herstellern geschwächt wird. »Genau das aber hat das Gesundheitsministerium wohl getan«, sagt der Göttinger Europarechtler Alexander Thiele. »Es sieht so aus, als hätte die Bundesregierung gegen die Vereinbarung mit der Kommission verstoßen.« Dass es sich bei den Vorverträgen lediglich um Absichtserklärungen gehe, ändere daran nichts.

Das Gesundheitsministerium verteidigt sein Vorgehen. »Die bilaterale Vereinbarung beeinflusst weder die Vertragsgestaltung der EU mit Biontech, noch verzögert sie die Auslieferung des Impfstoffs an die Mitgliedstaaten«, erklärte Ministeriumssprecher Hanno Kautz. Die Frage nach einem möglichen Rechtsbruch aber blieb offen.

Abseits juristischer Fragen drohen die Impfstoff-Alleingänge im Rest der EU den Eindruck zu erwecken, Deutschland handele egoistisch. Die Vorverträge mit Biontech und Curevac »verstoßen klar gegen den Geist der Vereinbarung unter den EU-Ländern«, sagt der französische EU-Abgeordnete Pascal Canfin dem SPIEGEL. »Wir haben uns in der EU geeinigt, Impfstoffe gemeinsam zu bestellen und fair untereinander zu verteilen«, so Canfin, der als Vertrauter von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gilt. »Wenn ein Land für sich selbst ordert, ist das schlecht. Noch schlechter ist es, wenn es sich dabei um eines der großen Länder handelt.«

EU-Kommission hält sich heraus

Andere aber wollen den Vorgang offenbar schnellstmöglich vergessen machen. Die portugiesische Gesundheitsministerin Marta Temido etwa, deren Land zum Jahreswechsel die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, wurde am Freitag gleich mehrfach von Journalisten nach einem möglichen Rechtsbruch der Deutschen gefragt – und vermied eine klare Antwort.

Auch die EU-Kommission will das Thema anscheinend nicht weiter vertiefen. Bereits am Mittwoch kam es in einer virtuellen Pressekonferenz zu teils surrealen Szenen. Immer wieder fragten Journalisten, was es mit dem Biontech-Deal Berlins auf sich habe. Dass es auch noch einen Vorvertrag mit Curevac gibt, hatte sich offenbar noch gar nicht herumgesprochen. Mehr als ein halbes Dutzend Mal betonten Kommissionssprecher Eric Mamer und seine Kollegen, dass die 30 Millionen Impfstoffdosen für die Deutschen ein Teil jener 100 Millionen seien, welche die Kommission kürzlich bei Biontech/Pfizer nachgeordert hatte – obwohl der deutsche Ministeriumssprecher Kautz schon am Montag öffentlich das Gegenteil behauptet hatte .

Mamer aber wollte nicht einmal von der Existenz der Vorverträge wissen: »Wir können Ihnen nicht sagen, ob auf einem Schreibtisch irgendwo in Deutschland eine Absichtserklärung zwischen den deutschen Behörden und Biontech/Pfizer herumliegt.«

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