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Personenkult um IOC-Präsident Geradezu gottgleich

Seit 2013 amtiert Thomas Bach als IOC-Chef, bei der Verkündung seiner Wiederwahl wird er mit Lobeshymnen überhäuft. Der Kult um seine Person wächst - Widerstand duldet er nicht.
Eine Analyse von Jens Weinreich
IOC-Präsident Thomas Bach bewirbt sich um eine zweite Amtszeit und lässt sich dafür feiern

IOC-Präsident Thomas Bach bewirbt sich um eine zweite Amtszeit und lässt sich dafür feiern

Foto: Martial Trezzini/KEYSTONE/dpa

Es ist keine Überraschung, dass Thomas Bach seine Präsidentschaft im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vier Jahre verlängert. Überraschend ist allein, dass Bach nicht bereits am Freitag, auf der virtuellen 136. IOC-Vollversammlung, per Akklamation bis 2025 im Amt bestätigt wurde. Dieser formale Akt, die Krönungsmesse, soll stattdessen im Frühjahr 2021 in Athen erfolgen – so es das Coronavirus erlaubt.

Wahlkongress sollte man diese 137. IOC-Session in Griechenland nicht nennen. Denn die nunmehr 104 Mitglieder haben ihre Entscheidung längst getroffen. Ein Drittel aller Olympier feierten den Vorsitzenden auf der von technischen Pannen geprägten Video-Session: "Führer" war das am meisten benutzte Wort. Gepriesen wurden Bachs "Weisheit", seine "Visionen", seine durchweg "fantastischen" Reden und Qualitäten, seine "Integrität", "Transparenz" und "Menschlichkeit". Er sei der einzige Kapitän, der das IOC durch schwere Wasser führen könne. Etliche Mitglieder lasen ihre Jubelarien von Papieren oder Bildschirmen ab.

Am Ende machte Bach eher beiläufig eine "persönliche Anmerkung": "Wenn Sie, die IOC-Mitglieder, es wollen", sei er bereit, für eine zweite Amtszeit anzutreten "und weiter der olympischen Bewegung zu dienen, die wir alle so lieben". Es folgten ununterbrochene Huldigungen, die Bach immer mal wieder kommentierte: Er sei dankbar für die netten Worte und zutiefst berührt. 

Wahl ohne Gegenkandidaten

Einige Stimmen: "Wir leben die olympischen Werte", postulierte Bachs Freund Fürst Albert von Monaco: "Wir müssen Einheit zeigen!" Kenias NOK-Präsident Paul Tergat sagte: "Wir brauchen Ihre starken Hände. Bitte führen Sie uns weiter!" Das eigentliche Hauptthema dieser IOC-Session geriet zur Marginalie: die auf 2021 verschobenen und völlig unsicheren Olympischen Spiele in Tokio. "Wir sind dankbar und gesegnet", formulierte Nicole Hoevertsz aus Aruba. "Niemand kann Sie ersetzen, Ihre Führung, Ihre Weisheit", dichtete Khunying Patama Leeswadtrakul aus Thailand. Die Afghanin Samira Asghari, mit 26 Jahren derzeit jüngstes IOC-Mitglied, erklärte schließlich: "Wir können es kaum erwarten, Ihnen nach der Wiederwahl zu gratulieren!"

Wahl? Einen Gegenkandidaten wird es natürlich nicht geben. Weder jetzt noch im kommenden Jahr. Alles folgte einem Skript. In der Welt des Thomas Bach sind Spontaneitäten weitgehend eliminiert. Auch der Belgier Christophe De Kepper, Generaldirektor des IOC, verkündete feierlich im Namen seiner Administration: "Wir alle helfen Ihnen gern!"

Wer sich indes in Lausanne unter IOC-Bediensteten umhört, erhält ein ganz anderes Bild. Da ist von einem Klima der Angst die Rede, von diktatorischen Usancen. Aber vielleicht ergeben diese beiden Pole Sinn und fügen sich zu einem großen Ganzen.

Zu jenen, die Personenkult betrieben und Bach geradezu einen gottgleichen Status zuschrieben, zählte der Algerier Moustafa Berraf, der daheim unter Korruptionsanklage steht und das Land nicht verlassen darf. Für eine IOC-Session reicht es allemal. Also versprach Berraf seinem Führer "die totale und ungeteilte Unterstützung Afrikas".

Bach schafft Sonderregelungen

Thomas Bach, 1953 geboren, wurde im September 2013 IOC-Präsident. Unter seiner Herrschaft wurde mehr als die Hälfte der Mitglieder ausgetauscht. 55 der aktuell 104 Mitglieder kamen unter ihm zu olympischen Ehren.

So wurden zuletzt für Bachs Intimus John Coates (Australien) und für den Chinesen Zaiqing Yu die Altersregeln aufgehoben. Beide hätten das IOC mit 70 Jahren verlassen müssen - beide dürfen aber weiter machen. Zaiqing Yu bis 2025. Und John Coates wurde am Freitag erneut IOC-Vizepräsident, er wird also bis mindestens 2024 dabei bleiben. Coates ist der geborene Interessenkonflikt. Unter anderem agiert er parallel als Präsident des vom IOC finanzierten und angeblich unabhängigen Welt-Sportgerichtshofes (CAS) und treibt mit der Goldcoast im Bundesstaat Queensland die Olympiabewerbung Australiens für 2032 voran.

IOC-Kritiker müssen Spiele verlassen

Wer sich Thomas Bach widersetzt, nur im Geringsten abweicht, hat keine Zukunft im IOC. Die in der Schlussphase ihrer achtjährigen Mitgliedschaft aufmüpfigen Athletenvertreter Claudia Bokel (Deutschland) und Adam Pengilly (Großbritannien) haben das erlebt. Sie opponierten einige Male gegen die großzügige Haltung zum russischen Staatsdopingsystem. Pengilly verweigerte auf der IOC-Session 2016 in Rio de Janeiro als einziges Mitglied die Gefolgschaft, als Bach quasi über seinen Russland-Kurs abstimmen ließ, und er wiederholte das 2018 in Pyeongchang.

Bokel und Pengilly wurden von Bachs Paladinen aufs Übelste attackiert. Pengilly nahm 2018 während der Winterspiele in Pyeongchang unter dubiosen Umständen Abschied vom IOC. Er verließ Südkorea unter dem Vorwurf, einen Sicherheitsmann beleidigt zu haben und handgreiflich geworden zu sein. Pâquerette Girard Zappelli, als Ethik- und Compliance-Officer des IOC eine Art Handlangerin von Bach, hat eine Videoaufzeichnung des Vorgangs jedenfalls so interpretiert.

Keine Kleinigkeit am Rande dieser 136. IOC-Session: Nur ein aktives Mitglied fehlte bei der Videokonferenz. Hayley Wickenheiser aus Kanada, die im März Humanität vom IOC eingefordert hatte, als Bach trotz Corona und Zehntausenden Toten noch an den Plänen der Sommerspiele 2020 in Tokio festhielt. Für die olympische Legende Wickenheiser ist das Kapitel IOC offenbar beendet. Sie widmet sich ganz ihrer medizinischen Ausbildung und ihren umfangreichen Hilfsprojekten.

Wiederwahl bleibt unangetastet

Thomas Bach wird großer Wahrscheinlichkeit nach bis mindestens 2025 IOC-Präsident bleiben. Nach den orchestrierten Ergebenheitsadressen drängt sich sogar die Frage auf, ob nicht einer der Mitglieder auf die Idee kommt, die Olympische Charta ändern zu lassen und dem IOC-Präsidenten mehr als insgesamt 12 Jahre Amtszeit zu gewähren.

Die Amtszeitbegrenzung wurde 1999 eingeführt, als ein wichtiger Baustein eines Reformpakets, um das IOC in der größten Krise seiner Geschichte vor dem Untergang zu retten. Bachs großes Vorbild Juan Antonio Samaranch († 2010) regierte von 1980 bis 2001. Samaranch war Supernumerarier des Opus Dei. Der einstige Ministrant Bach führt Samaranchs Werk fort, mitsamt all den quasi-religiösen Ritualen und dem Personenkult. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass er länger als Samaranch regiert.