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Affäre um manipulierte Dopingdatenbank Alles Wichtige zur Wada-Entscheidung gegen Russland

Die Wada entscheidet heute, ob und wie Russland wegen einer Manipulationsaffäre bestraft wird. Die Sportgroßmacht soll eine Dopingdatenbank tausendfach verändert haben.
Russland und die Olympischen Spiele: Bald wieder "Olympische Athleten aus Russland"?

Russland und die Olympischen Spiele: Bald wieder "Olympische Athleten aus Russland"?

Foto: Jean-Christophe Bott/DPA

Worum geht es?

Verhandelt wird die Frage, ob Russland für große Sportereignisse wie zum Beispiel die Olympischen Sommerspiele 2020 gesperrt wird. Am Montag verkündet das Exekutivkomitee der Weltantidopingagentur Wada in Lausanne seine Entscheidung, ob es die nationale Antidopingagentur Russlands sperren wird - wie schon zwischen 2015 und 2018. Dies würde sich auf die Startberechtigung der russischen Athleten bei den Spielen auswirken, da ein Land ohne funktionierende Antidopingagentur an kaum einem Sportgroßereignis teilnehmen darf.

Welche Vorwürfe erhebt die Wada?

Es geht um Manipulation und Fälschungen in mehr als tausend Fällen . Konkret steht eine Datenbank im Fokus, die Wada-Experten Anfang 2019 im Moskauer Kontrolllabor sicherstellten und deren Analyse Aufschluss geben sollte über Anzahl und Namen von gedopten russischen Sportlern in den Jahren 2012 bis 2015.

Die Wada-Ermittler um den ehemaligen bayerischen Kriminalbeamten Günter Younger waren bereits im Besitz einer Kopie dieser Datenbank - ein anonymer Whistleblower hatte ihnen die Datei 2017 zugespielt. Diese sollte mit den Originaldaten aus dem Moskauer Labor abgeglichen werden. So sollte der von Sonderermittler Richard McLaren in seinen beiden Berichten beschriebene Staats-Dopingskandal weiter aufgearbeitet werden.

Das Ergebnis: die zugespielte Version und die in Moskau sichergestellte unterscheiden sich drastisch. Laut "New York Times" und der Nachrichtenagentur AP wurden in der sichergestellten Originaldatei 15.325 Dateien und Ordner gelöscht, die "höchst relevante Antidopingdaten" beinhalteten. Die Dateien von 578 verdächtigen Proben von 298 Sportlern wurden demnach "in nahezu jedem Fall" verändert.

Auch eine forensische Analyse der Wada-Experten soll das Ergebnis stützen, dass die übergebene Datenbank gefälscht wurde. Die Veränderungen sollen laut Wada größtenteils nach September 2018 vorgenommen und noch bis in den Januar dieses Jahres vollzogen worden sein.

Ein weiterer Vorwurf, den die Wada erhebt: Daten seien so verändert worden, dass der Kronzeuge des russischen Dopingskandals, der ehemalige Leiter des Moskauer Antidopinglabors Grigori Rodtschenkow, als Lügner dastehe. Und die Aussagen des ehemaligen Labormitarbeiters Jewgenij Kudrajawzews, der in Gerichtsprozessen gegen gesperrte russische Sportler auftritt und dort Rodtschenkow als Lügner bezeichnet, gestützt werden.

Die Herausgabe der Datenbank hatte sich immer wieder verzögert. Hier finden Sie eine Chronologie des Falls.) Die Frist wurde nicht eingehalten, ohne dass die Wada Sanktionen verhängte. Einmal waren die Ermittler sogar vor Ort und zogen unverrichteter Dinge wieder ab, da die russische Seite das Equipment der Wada-Delegation beanstandet hatte. An der Entscheidung, die Verzögerung nicht zu bestrafen, hatten Antidopingkämpfer Kritik geübt, doch die Wada stellte immer wieder in den Vordergrund, in erster Linie an die Daten kommen zu wollen - auch wenn dies länger dauerte als geplant. Bei einer Sperre hätten sie dafür kaum Chancen gesehen.

Welche Strafe droht Russland?

Das "Compliance Review Committee" unter dem Vorsitz des Briten Jonathan Taylor hat in ihrem Bericht an das Exekutivkomitee empfohlen, die russische Antidopingagentur als "non-compliant" zu erklären, also als nicht konform, und plädiert deshalb für eine Sperre von vier Jahren  . Konkret soll in dieser Zeit gelten:

  • Russische Offizielle und Staatsbedienstete sollen nicht in Gremien von Sportverbänden sitzen, die den Wada-Code unterschrieben haben - also die meisten.
  • Russische Offizielle und Staatsbedienstete sollen unter anderem nicht an Olympischen Spielen oder an anderen Großveranstaltungen des Sports teilnehmen, die von einem Verband ausgerichtet werden, der den Wada-Code unterzeichnet hat.
  • Russland darf keine sportlichen Großereignisse ausrichten.
  • Wenn bereits ein sportliches Großereignis an Russland vergeben wurde, muss dieses zurückgezogen werden - es sei denn, es ist "rechtlich oder praktisch" unmöglich. Eine sehr unscharfe Formulierung, die Schlupflöcher bietet.
  • Russlands Flagge darf bei keinem sportlichen Großereignis gehisst werden.
  • Russische Athleten und ihr Team (Trainer, Betreuer) dürfen an den Großevents nur teilnehmen, wenn sie nicht in belastender Weise im McLaren-Report auftauchen, von ihnen keine positiven Tests in der Datenbank stehen und keine ihrer Daten im Datensatz manipuliert worden sind.

Wie argumentiert die russische Seite?

Aus Russland gibt es widersprüchliche Aussagen: Der Leiter der nationalen Antidopingagentur, Jurij Ganus, hatte dem SPIEGEL die Manipulationen und Fälschungen bestätigt . Sportminister Pawel Kolobkow hat eine Manipulation der Daten hingegen abgestritten - und Ganus ausdrücklich widersprochen. "Unsere Experten sagen, dass nichts gelöscht worden ist." Er sprach von "technischen Problemen", die zu den Untersuchungsergebnissen geführt hätten.

Kolobkow geht davon aus, dass Russland mit einem rund 400 Mann starken Team bei den Olympischen Spielen in Tokio antreten wird. Eine Sprecherin des Außenministeriums sagte: "Das Thema wird politisch aufgeladen, um Russland aus dem Weg zu räumen. Es gibt einen Begriff dafür: unlauteren Wettbewerb. Es ist ein Kampf ohne Regeln, vielleicht ist es schon ein Krieg."

Testen Sie Ihr Wada-Wissen

Was passiert nach der Entscheidung?

Gegen die Wada-Entscheidung kann Russland innerhalb von drei Wochen vor dem Sportgerichtshof Cas Einspruch einlegen. Es ist wahrscheinlich, dass dies passieren wird. Experten und Beobachter gehen davon aus, dass am Ende eine ähnliche Lösung wie bei den Olympischen Winterspielen 2018 herauskommen wird.

Im südkoreanischen Pyeongchang waren die unverdächtigen russischen Sportler unter neutraler Flagge als "Olympische Athleten aus Russland" aufgelaufen. In Tokio könnten dann russische Athleten starten, die - wie von der Wada-Kommission vorgeschlagen - belegen können, dass sie nicht vom Dopingprogramm profitiert haben und dass ihre Daten nicht verfälscht wurden. Sollten sie Medaillen gewinnen, würde bei der Ehrung weder die russische Nationalhymne erklingen, noch die Flagge des Landes gehisst werden.

Wer steckt hinter den mutmaßlichen Manipulationen?

Das ist ein großes Rätsel, das auch die Wada-Kommission nicht lösen konnte. Die russische Antidopingagentur wies die Schuld von sich. Und das IOC hatte in einer Stellungnahme ebenfalls versucht, die Verantwortung vom russischen Sport fernzuhalten, um nicht komplett unglaubwürdig zu erscheinen, wenn in Tokio ein großes russisches Kontingent auflaufen sollte. "Wir stellen fest, dass der Bericht beweist, dass jegliche Manipulation in der Verantwortung des russischen Staats liegt. Wir stellen auch fest, dass der Bericht feststellt, dass der Sport nicht an dieser Manipulation beteiligt war und es keinen Hinweis auf Fehlverhalten der Sportbewegung gibt, insbesondere des russischen Olympischen Komitees."

Wirkt sich eine mögliche Sperre auf die Fußball-EM 2020 aus?

Die Wada hat Konsequenzen für die Vergabe des EM-Spielorts St. Petersburg bereits im Vorfeld ausgeschlossen. Drei Gruppenspiele und ein Viertelfinale finden in St. Petersburg statt. Eine von der Wada-Kommission vorgeschlagene Bestrafung war ja, bereits an Russland vergebene Großereignisse dem Land wieder zu entziehen, doch die Wada entschied, dass es sich bei der EM um ein "kontinentales Einzelsportevent" handelt und deshalb nicht von den Empfehlungen betroffen sei. Zudem habe sich die Uefa dem Wada-Code nicht direkt unterworfen, einzig der Fußball-Weltverband Fifa hat diesen unterzeichnet. Kritik an der Entscheidung, die EM direkt von Konsequenzen auszuschließen, gab es von der deutschen Antidopingagentur Nada, die sich "sehr skeptisch" zeigte.

Was ist noch unklar?

Hinsichtlich des Prüfprozesses der Datensätze gibt es noch offene Fragen, deren Antworten wohl erst während oder nach einer möglichen Verhandlung vor dem Sportgerichtshof veröffentlicht werden. So ist unklar, welche IT-Expertise die Prüfer hatten. Auch wie die Wada zur Erkenntnis gelangte, dass die angeblich belastenden Beweise gegen Rodtschenkow gefälscht worden sind, wurde bislang nicht erklärt. Und es fehlt eine Erklärung, warum die Ermittler sicher sind, dass der Datensatz, den die Wada zum Abgleich der offiziell gesicherten Datenbank verwendet hat, nicht theoretisch ebenfalls eine Fälschung sein kann. Die Wada wollte eine entsprechende Anfrage des SPIEGEL nicht beantworten.

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