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Ungewöhnliche Entzündung Was Covid-19 in der Lunge anrichtet

Mediziner sammeln immer mehr Erfahrungen mit Covid-19-Patienten, bei denen die Atmung versagt. Sie berichten von ungewöhnlichen Folgen des Virus für die Lunge.
Noch viele dunkle Areale, helle Wölkchen (die auf Flüssigkeitsansammlungen hinweisen) nur am Rand: CT-Bilder von Covid-19-Patienten unterscheiden sich von denen anderer Menschen mit einer Lungenentzündung.

Noch viele dunkle Areale, helle Wölkchen (die auf Flüssigkeitsansammlungen hinweisen) nur am Rand: CT-Bilder von Covid-19-Patienten unterscheiden sich von denen anderer Menschen mit einer Lungenentzündung.

Foto: remko De Waal/ ANP/ DPA

Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus begann mit einem Missverständnis. Das Erbgut des damals noch völlig unbekannten Erregers ähnelte so stark dem des bereits bekannten Sars-Virus, dass Forscher davon ausgingen, dass es sich auch im Körper ähnlich verhält.

Das Virus sei nicht so ansteckend, schlussfolgerten Wissenschaftler wie Christian Drosten von der Charité. Es befalle vor allem die unteren Atemwege und damit die Lunge, dorthin müsse es für eine Infektion erst mal gelangen. Der erste Kontakt mit Sars-CoV-2 in Deutschland zeigte, dass die Forscher irrten.

Als sich in der Nähe von München die ersten Menschen in Deutschland infizierten, gelang es einem Team um Drosten, aus Rachenabstrichen der Erkrankten Viren zu gewinnen und zu vermehren. Bei Sars war dies nie geglückt. Seitdem ist klar: Das neuartige Coronavirus befällt nicht nur die Lunge, es siedelt sich vor allem in den oberen Atemwegen, im Rachen an.

Der Boris-Johnson-Verlauf: Erst leichte Symptome, dann Krankenhaus

Während sich Patienten bei einer Grippe etwa schlagartig schlecht fühlen, entwickeln bei Covid-19 viele, die später schwer erkranken, anfangs nur milde Symptome. Sie husten oder der Hals kratzt, bei manchen kommen etwa Fieber oder Durchfall hinzu.

Erst nach knapp einer Woche kann sich der Zustand rapide verschlechtern, sodass sie ins Krankenhaus müssen. "Boris Johnson ist dafür ein berühmtes Beispiel, wir sehen das aber auch bei uns in der Klinik", sagt Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.

Genau erklären können Mediziner dieses Phänomen noch nicht. Es liegt jedoch nahe, dass es mit dem Übergang der Viren aus dem Rachen in die Lunge zusammenhängt. Dafür spricht auch, dass die Viren im Rachen teilweise nicht mehr nachweisbar sind, wenn Patienten mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus kommen.

Schaffen es die Viren bis in die Lunge, dringen sie auch dort in die Zellen ein. Dies führt zu ersten Schäden. Zusätzlich beginnt das Immunsystem, die Eindringlinge zu bekämpfen. Das Lungengewebe entzündet sich, aber anders, als Mediziner es häufig beobachten.

Wölkchen am Rand der Lunge

Ungewöhnlich ist vor allem, dass bei manchen Covid-19-Patienten der Körper bereits unter einem massiven Sauerstoffmangel leidet, weil ihre Lunge nicht mehr richtig funktioniert - und sie trotzdem noch das Gefühl haben, normal atmen zu können.

"Das ist eine Kombination, die man fast nie sieht", schreiben Ärzte aus Göttingen, Turin und London in einem Debattenbeitrag in der Fachzeitschrift "Intensive Care Medicine" . Grund dafür ist, dass die Lunge bei Covid-19 trotz Entzündung oft ungewöhnlich lange dehnbar bleibt.

Normalerweise lagern sich bei einer schweren Lungenentzündung große Mengen Flüssigkeit an, die das Gewebe schwerer und steifer machen. Betroffene haben das Gefühl, gegen einen Widerstand anatmen zu müssen. Das trifft auch auf Covid-19-Patienten zu, aber meist erst bei einer weit fortgeschrittenen Lungenentzündung. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich bei Covid-19 in der ersten Phase deutlich weniger Flüssigkeit in der Lunge ansammelt als bei einer klassischen Lungenentzündung", sagt Pfeifer, der als Chefarzt der Pneumologie in der Klinik Donaustauf Betroffene betreut.

Die Besonderheit zeigt sich auch auf CT-Bildern. Die hellen Flächen, die auf Flüssigkeitsansammlungen hinweisen, sind bei Covid-19-Patienten nicht so dicht wie bei vielen anderen Lungenentzündungen. "Man sieht, je nach Schwere, immer noch dunkle, also luftgefüllte Areale dazwischen", sagt Pfeifer. Außerdem befinden sich die hellen Flächen vor allem am Rand der Lunge, wo sie weiße Wölkchen formen.

"Das Verteilungsmuster ist schon besonders, ich würde auch sagen, für Covid-19 charakteristisch", sagt Pfeifer. "Trotzdem reicht ein Röntgenbild allein nicht aus, um die Krankheit zu diagnostizieren. Dafür braucht es einen Test."

Zu viel Blut in den Entzündungsherden

Dass es trotz der erhaltenen Dehnbarkeit der Lunge und damit einer recht normalen Atmung so stark an Sauerstoff mangelt, liegt wahrscheinlich an einem zweiten Covid-19-Phänomen.

"Die Patienten haben mehrere Entzündungsherde in der Lunge", sagt Pfeifer. Dort sind die Gefäße so stark geweitet, dass sie ungewöhnlich viel Blut aufnehmen. Gleichzeitig kann jedoch in diesen Bereichen durch die Entzündung - und damit auch durch lokale Flüssigkeitsansammlungen - kaum Sauerstoff aus der Atemluft ins Blut übergehen. Die gesunden Teile der Lunge hingegen werden weniger durchblutet, sie können den Sauerstoffverlust nicht wettmachen.

Der Körper reagiert auf den Sauerstoffmangel, indem er die Atemfrequenz erhöht. Sie ist ein wichtiger Anhaltspunkt, um den Gesundheitszustand eines Patienten zu beurteilen.

Normalerweise machen gesunde Erwachsene zwischen 14 und 18 Atemzüge pro Minute. Ab 30 Atemzügen wird häufig eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig. Die Betroffenen werden benommen, ihre Ärzte müssen entscheiden, ob sie eine künstliche Beatmung brauchen. Dies ist bei Covid-19-Patienten aufgrund der fehlenden Erfahrungen mit der Erkrankung noch eine besondere Herausforderung.

"Die künstliche Beatmung rettet Leben", sagt Pfeifer. "Wird sie zu spät begonnen, wirkt sich das negativ auf den weiteren Verlauf der Krankheit aus. Gleichzeitig bedeutet sie aber auch Stress für den Körper. Deshalb ist es wichtig, den richtigen Punkt zu erkennen." Unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin arbeitet aktuell an Empfehlungen, um Ärzten Orientierung zu bieten.

Lungenentzündung und trotzdem kaum ein Problem

Während manche Patienten mit einer Lungenentzündung um ihr Leben kämpfen, gibt es jedoch auch andere, bei denen sich die Entzündung kaum bemerkbar macht. "Es ist nicht so, dass sie komplett frei sind von Beschwerden", sagt Pfeifer. "Sie sind aber vielleicht nur etwas müde, obwohl CT-Aufnahmen eine Entzündung des Lungengewebes zeigen."

Entscheidend dafür ist, wie stark das Immunsystem reagiert. "Alle Entzündungen führen nicht nur zu einer lokalen Reaktion, sondern betreffen den ganzen Körper", erklärt Pfeifer. "Manchmal fühlen wir uns zum Beispiel total schlapp, obwohl nur ein kleiner Zahn entzündet ist."

Wie stark diese Reaktion ausfällt, schwankt von Mensch zu Mensch. "Kommt es zu einer überschießenden Entzündungsreaktion des gesamten Körpers, ist das Risiko, schwer zu erkranken, viel höher", sagt Pfeifer. Warum es diese Unterschiede gibt, können Forscher bislang nicht sagen. "Es ist aber nichts, was nur bei Covid-19 auftritt. Es fällt nur häufiger auf, weil wir Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind und bei denen vieles unbekannt ist, ganz genau untersuchen", so Pfeifer.

Für die schwer Erkrankten gibt es zumindest Hoffnung für die Zukunft. Noch lässt sich zwar nicht sagen, ob und welche Spätfolgen Menschen mit einer schweren Covid-19-Lungenentzündung davontragen. Dafür ist seit den ersten Fällen zu wenig Zeit vergangen, Forscher beginnen jetzt erst mit den Untersuchungen. In der Regel aber ist die Lunge ein Organ, bei dem auch schwere Entzündungen vollkommen ausheilen können.

"Ich habe schon Schlimmes gesehen, und die Patienten haben sich nach einem halben Jahr wieder komplett erholt. Hoffen wir, dass es hier auch so ist", sagt Pfeifer.