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Müllberge durch Null-Covid-Strategie in China »Medizinische Abfälle in beispiellosem Ausmaß«

68.500 Tonnen medizinischer Müll innerhalb einiger Wochen allein in Shanghai: In wohl keinem Land der Welt fällt so viel Abfall durch die Coronapandemie an wie in China. Nun warnen Forscher vor den Folgen.
Produktion von Schnelltests in China

Produktion von Schnelltests in China

Foto: Southern Visual / VCG / Getty Images

Stäbchen in die Nase oder den Rachen, Abstrich nehmen, fertig: Regelmäßige Tests auf das Coronavirus sind in vielen Ländern ein wichtiger Bestandteil der Strategie, um das Virus einzudämmen. Aber in keinem Land wird so viel getestet wie in China. Arbeiter in Ganzkörperschutzanzügen nehmen hier täglich Hunderte Millionen Coronatests vor – selbst wenn es nur ein paar Dutzend Covid-Fälle im ganzen Land gibt. Es sind vor allem solche Massentests, die Pekings Null-Covid-Strategie tragen sollen.

Sie aber wird inzwischen mehr und mehr auch zu einem Umweltproblem: Die Tests produzieren Zehntausende Tonnen medizinischen Mülls.

Die Volksrepublik ist das letzte große Land der Erde, das Coronainfektionen um jeden Preis verhindern will, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Deshalb gibt es einerseits extrem strenge Quarantäneregeln und zum Teil monatelange Lockdowns. Andererseits müssen sich Hunderte Millionen Chinesen alle zwei oder drei Tage testen lassen, manche sogar täglich. In Provinzhauptstädten und Metropolen ab zehn Millionen Einwohnern soll niemand mehr als 15 Minuten zur nächsten PCR-Teststelle laufen müssen, schreibt die Regierung vor.

Abermillionen Röhrchen, Tupfer, Verpackungen und Schutzanzüge wandern in der Folge täglich in den Müll. »Die Menge an medizinischen Abfällen pro Tag hat ein Ausmaß angenommen, das in der Geschichte der Menschheit praktisch beispiellos ist«, sagt Yifei Li, Umweltexperte an der New York University in Shanghai. »Die Probleme sind schon jetzt riesig und werden sich weiter verschärfen.«

Durch die rasche wirtschaftliche Entwicklung ist Chinas Umwelt ohnehin stark belastet. Die Gesetze gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser wurden in den vergangenen Jahren verschärft. Bis 2060 will die Volksrepublik CO₂-neutral werden – ein ehrgeiziges Ziel, das angesichts der Abhängigkeit des Landes von der Kohle kaum erreichbar ist. Die massenhaften PCR-Tests stellen das Land vor eine weitere ökologische Herausforderung: Werden die medizinischen Abfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt, können sie den Boden und Gewässer verunreinigen.

68.500 Tonnen Müll nur für Shanghai

Landesweite Daten zur Menge an Coronamüll gibt es nicht. Für Shanghai gaben die Behörden an, dass während des Lockdowns von Mitte März bis Anfang Juni dort 68.500 Tonnen medizinischen Abfalls angefallen seien – sechsmal mehr als üblich. Nach chinesischem Recht sind die Behörden dafür verantwortlich, diesen Müll zu sortieren, zu desinfizieren und zu lagern, bis er endgültig entsorgt wird – in der Regel durch Verbrennung.

»Ich bin mir nicht sicher, ob man auf dem Land wirklich in der Lage ist, mit diesem erheblichen Zuwachs an medizinischen Abfällen fertig zu werden«, sagt der Experte für öffentliche Gesundheit beim US-Thinktank Council on Foreign Relations, Yanzhong Huang. Auch Benjamin Steuer von der Hong Kong University of Science and Technology bezweifelt, dass alle Kommunen den Müll korrekt entsorgen – und fürchtet, dass er einfach auf Deponien landet.

Die Entsorgung ist teuer. Dabei sind die Kommunen bereits durch die Massentestung finanziell stark belastet. Sollen tatsächlich alle 1,4 Milliarden Chinesen regelmäßig getestet werden, kostet das zwischen 0,9 und 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, schätzte die Nomura-Bank im Mai.

Experte Jin Dong-yan, der an der Universität Hongkong lehrt, hält die routinemäßige PCR-Testung für ineffizient und teuer. Sie zwinge die Kommunalverwaltungen, auf andere sinnvolle Investitionen im Gesundheitssektor zu verzichten. Die hoch ansteckende Omikron-Variante des Virus lasse sich damit nicht eindämmen, sagt Jin, »das wird nicht funktionieren.« Er ist überzeugt: »Da werden Millionen Dollar aus dem Fenster geworfen.«

WHO fordert Strategien zur Müllentsorgung

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits vor riesigen Mengen von medizinischen Abfällen gewarnt und Strategien zur richtigen Entsorgung gefordert. Die Müllberge bedrohten die Gesundheit von Mensch und Umwelt, hieß es in einem Bericht, für den nur kleine Teile der während der Pandemie verwendeten Medizinprodukte analysiert wurden. Dazu zählen rund 140 Millionen Coronatestkits und 87.000 Tonnen medizinische Schutzbekleidung, die zwischen März 2020 und November 2021 ausgeliefert wurden. Das meiste davon endet als Plastikmüll. Laut dem WHO-Bericht sind es etwa 2600 Tonnen nicht-infektiöser Kunststoffabfälle sowie 731.000 Liter chemischer Abfälle.

Im vergangenen Jahr schätzten Forscherinnen und Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und der University of California in San Diego, dass durch die Pandemie bis zum Zeitpunkt ihrer Studie im August bis zu 8,4 Millionen Tonnen zusätzlicher Plastikmüll entstanden ist. Corona hat den Druck auf ein bereits außer Kontrolle geratenes globales Plastikmüllproblem deutlich verschärft.

joe/AFP