Nordrhein-Westfalen:Zwei Pole an Rhein und Ruhr

Nordrhein-Westfalen: Wer wird's? Am 15. Mai treten Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, oben) und SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty gegeneinander an.

Wer wird's? Am 15. Mai treten Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, oben) und SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty gegeneinander an.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Landtagswahl in NRW wird zum Duell konkurrierender Lager, zeigt eine Analyse. Dreierbündnisse dürften besonders schwierig werden.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Nordrhein-Westfalen erwartet ein Lagerwahlkampf. Selbstverständlich fährt zwar jede Partei ihre eigene Kampagne bis zum 15. Mai, Deutschlands wichtigstem Wahlsonntag in diesem Jahr. Aber eine Analyse der Parteiprogramme von CDU und FDP, von SPD und Grünen offenbart: An Rhein und Ruhr stehen sich zwei Pole gegenüber - Schwarz-Gelb contra Rot-Grün. Falls es nach der Wahl für keine Zweier-Koalition reichen sollte, drohen in Düsseldorf langwierige, zähe Verhandlungen.

Nachgewiesen haben diese bipolare Ordnung Politikwissenschaftler der Universität Münster. Für ihren "Wahlkompass" haben sie allen Parteien 30 Thesen präsentiert - und deren Antworten zu Tempo 30, Verschuldung und Flugverboten sowie zu Wölfen oder Wohnungsbau mit Aussagen in deren Wahlprogrammen abgeglichen. Ab sofort können Bürger die Qual ihrer Wahl lindern, indem sie per Selbsttest online auf die Thesen des Wahlkompass antworten - und dann sehen, welche Partei ihnen am nächsten steht.

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(Foto: SZ-Grafik: saru; Quelle: NRW-Wahl-Kompass)

Die Wähler haben noch knapp vier Wochen Zeit für ihre Entscheidung - aber die Parteien haben ihre Positionen festgezurrt. Insgesamt zeigt sich: Ziele und Versprechen der bisherigen Regierungskoalition aus CDU und FDP stimmen zu 82,3 Prozent überein (obere Grafik). Ähnlich einträchtig präsentiert sich die bisherige Opposition in Düsseldorf: SPD und Grüne geben auf die 30 Kompass-Thesen sogar zu 91,8 Prozent übereinstimmende Antworten. Gleichzeitig sind beide Lager programmatisch weiter voneinander entfernt, als sie es noch im Herbst vor der Bundestagswahl waren: "Zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün ist die Kluft in NRW größer als auf der Bundesebene", sagt Jan Philipp Thomeczek, der Projektleiter des Wahlkompass.

Norbert Kersting, Professor für vergleichende Politikwissenschaft in Münster, überrascht diese Zweiteilung nicht. Vor allem die einstmals großen Parteien CDU und SPD hätten traditionelle, auch geografisch getrennte Milieus: Die CDU dominiere im Münster- und Sauerland, der SPD galt jahrzehntelang das Ruhrgebiet als "Herzkammer". Das hat Folgen, so Kersting: "Die parteipolitische Aufladung und die Konfrontation zwischen CDU und SPD wirkt in NRW von der lokalen Ebene bis zur Landespolitik nach wie vor stärker als in anderen Bundesländern." Große Koalitionen seien im bevölkerungsstärksten Land "kaum denkbar".

Wahl-Kompass

Auf Grundlage der Daten aus dem "Wahl-Kompass" sind in der SZ bereits folgende Texte erschienen: "Wind of Change" - über Erstwähler bei der Bundestagswahl, "Gift für Rot-Grün-Gelb" - über die Wähler der Ampelparteien und "Zwei Pole an Rhein und Ruhr"

Seit 27 Jahren regiert entweder Rot-Grün oder Schwarz-Gelb in NRW. Partnerwechsel sind da schwierig, auch diesmal: SPD und FDP (55,4 Prozent) oder CDU und Grüne (52,0 Prozent) sind sich nur bei etwa der Hälfte der Wahlkompass-Thesen einig.

Laut Umfragen hat die schwarz-gelbe Koalition von Ministerpräsident Hendrik Wüst keine Chance, nach dem 15. Mai erneut allein zu regieren. Für Rot-Grün könnte es zwar knapp reichen - aber noch haben sich viele Wähler nicht entschieden. Und Schwarz-Grün trennen Welten. Viele Beobachter vermuten, für eine stabile Regierungsmehrheit sei künftig wohl ein Dreier-Bündnis nötig. Also Ampel oder Jamaika?

Die Analyse des Wahlkompass gibt zumindest Hinweise, wie eine politische ménage à trois am ehesten gelingen könnte. Um das nötige Vertrauen und einen Minimalkonsens für eine NRW-Ampel aufzubauen, so die Politikwissenschaftler, sollten Rote, Grüne und Gelbe zuerst über gesellschaftliche Fragen (etwa Legalisierung von Cannabis, Senkung des Wahlalters), über Zuwanderung (etwa Islamunterricht an Schulen) oder auch über Themen der Inneren Sicherheit (Elektroschock-Pistolen für die Polizei, Datenschutz) miteinander verhandeln. Wie die mittlere Grafik zeigt, ist da die Übereinstimmung von FDP und Grünen mit der SPD am größten (klar über 80 Prozent). Sprengstoff hingegen lauert in Finanz- und Wirtschaftsfragen - da kämen SPD und FDP nur schwer zusammen (untere Grafik).

Genau den umgekehrten Weg empfehlen die Wissenschaftler aus Münster für schwarz-grüne Experimente oder für Jamaika: Kompromisse mit den Grünen ließen sich leichter bei Themen wie Gewerbesteuer, der sonntäglichen Öffnung von Geschäften oder Kinderbetreuung finden. Hingegen wären Themen wie Innere Sicherheit oder Zuwanderung reines Gift für eine Annäherung zwischen CDU und Grünen. Die Qual der Wahl - in Düsseldorf lauert sie auch nach dem 15. Mai.

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