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Einigung über ukrainische GetreideexporteDie Öffnung der Kornkammer

Ein Soldat der russischen Armee steht auf einem Getriedefeld nahe der ukrainischen Stadt Melitopol. (14. Juli 2022)

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Wie mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Silos zu den Millionen Menschen kommen, die von Hunger bedroht sind – um nichts weniger haben seit Monaten die Vereinten Nationen, Russland, die Ukraine und die Türkei verhandelt. Ob Weizen, Gerste, Sonnenblumenkerne, das ganze Korn aus der Ernte des Vorjahres konnte wegen Moskaus Angriffskrieg bisher nicht über das Schwarze Meer aus der Ukraine transportiert werden.

In Istanbul wurden am Freitag Abkommen unterzeichnet, welche die Blockade lösen sollen und den Weg des Korns über türkische Häfen öffnen sollen: UN-Generalsekretär António Guterres reiste dazu in die Metropole am Bosporus, wo am Nachmittag zwei getrennte Vereinbarungen unterschrieben wurden, die viele Leben retten könnten. Die Zeremonie hatte hochrangige Teilnehmer: den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu und aus Kiew den ukrainischen Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow. Bereits die Nachricht einer bevorstehenden Einigung
hatte die Weltmarktpreise für Weizen fallen lassen. Es ist die erste diplomatische Annäherung zwischen Moskau und Kiew, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Guterres sprach von einem «Leuchtfeuer der Hoffnung».

Die Rolle der Türkei war dabei mehrschichtig: Vermittler, Schirmherr und Gastgeber der Gespräche, aber im Erfolgsfall auch potenzieller Profiteur – sowohl wirtschaftlich wie politisch. Dass Bewegung in die offenbar zäh begonnenen Gespräche gekommen war, hatte sich schon angedeutet. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache, die Schwarzmeer-Häfen der Ukraine könnten in Kürze wieder geöffnet werden. Der russische Machthaber Wladimir Putin hatte bei seinem Besuch in Iran zu Anfang der Woche davon gesprochen, dass eine Einigung nicht ausgeschlossen sei.

Nach dem, was bisher bekannt ist, sieht das Abkommen Seekorridore vor, auf denen Frachter vor Angriffen geschützt sind, aber auch ihre Manöver unter Beobachtung stehen. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sprach von der Gewährleistung der «Schifffahrtssicherheit auf den Überführungsrouten». Es ging um viel Technisches bei den Verhandlungen wie gemeinsame Kontrollen von Ein- und Ausfahrten in den Häfen. Die Zusicherungen sollen zunächst für 120 Tage gelten. Nach Guterres' Angaben geht es um die Ukraine-Häfen Odessa, Tschornomorsk und Juschnij. In Istanbul soll eine Koordinierungszentrale eingerichtet werden, in der alle beteiligten Länder zusammenarbeiten. Kontrollen sollen offenbar bei Bedarf in türkischen Gewässern von «gemeinsamen Gruppen» übernommen werden.

Kiew spricht von «Lebensmittelterrorismus»

Wie kompliziert die Bedingungen sind, wurde auch aus einem Tweet vom Freitag des ukrainischen Präsidentenberaters Michailo Podoljak deutlich: «Die Ukraine unterzeichnet keinerlei Dokumente mit Russland», hiess es da. Die Übereinkunft zu Getreideausfuhren werde sein Land nur mit den Vereinten Nationen und der Türkei unterzeichnen. Entsprechend werde Russland einen Vertrag mit der Türkei und den UN abschliessen. Podoljak schloss auch aus, dass bei den Transporten russische Schiffe und Vertreter Moskaus in ukrainischen Häfen geduldet würden: «Im Falle einer Provokation gibt es eine unverzüglich militärische Antwort.»

Russland und die Ukraine hatten sich gegenseitig vorgeworfen, die Schuld zu tragen daran, dass Millionen Tonnen Getreide zu verrotten drohten und das Risiko einer grossen Hungerkrise täglich wuchs: Getreide aus der Ukraine und auch Russland wird vor allem in Nord- und Ostafrika und im Nahen Osten dringend benötigt, die Länder der Regionen bezogen bislang von dort den grössten Teil ihres Bedarfs, Ägypten etwa 80 Prozent seines Weizenimports (Lesen Sie zu den weltweiten Hungersnöten auch: «Wir müssen von den Hungernden nehmen, um es den Sterbenden zu geben»).

Moskau behauptete, die Ukraine verhindere durch das Verminen von Häfen wie Odessa, dass Getreidefrachter fahren könnten, und wirft auch dem Westen vor, die Sanktionen wegen des Kriegs verhinderten die Transporte. Die Ukraine warf dem Kreml «Lebensmittelterrorismus» vor und sagte, die russische Kriegsmarine blockiere ihre Häfen im Schwarzen Meer. Beide Seiten hatten Sorge, dass die jeweils andere Schiffsverkehr für militärische Zwecke wie Waffentransporte oder das Anlanden von Truppen nutzen könnte.

Im Westen herrschte der Verdacht, dass Russland durch das Provozieren einer Hungerkrise auch bewirken wolle, dass diese auch mehr Menschen aus Afrika zur Flucht nach Europa bewegen würde mit der möglichen Folge politischer Verwerfungen in den Zielländern. Die G-7-Länder warfen Russland einen «geopolitisch motivierten Angriff auf die globale Ernährungssicherheit» vor. Der US-Historiker Timothy Snyder formulierte diese Sorgen so: «Russland plant, Asiaten und Afrikaner auszuhungern, um seinen Krieg in Europa zu gewinnen.»

UN-Sprecher Farhan Haq sagte in New York kurz vor dem Deal von Istanbul: «Wir können dieses Problem lösen und möglicherweise Hunderttausende, möglicherweise Millionen von Menschen davor bewahren, dass der Preis für Lebensmittel ausserhalb ihrer Reichweite liegt.» Washington begrüsste eine Vereinbarung über das Ende der Getreideblockade, ebenso die EU. Aber die USA äusserten wie einige Beobachter auch Skepsis, ob die Transporte auch wirklich schnell in Gang kommen oder Moskau dies mit Vorwänden doch noch monatelang hinauszuzögern versucht. Für die Ukraine, deren wichtigstes Exportgut das Getreide ist, wäre es wirtschaftlich enorm wichtig, es wieder auf die Märkte zu bringen. Auch weil die Ernte dieses Sommers in Gefahr gerät, also die Einkünfte des kommenden Jahres, wenn die Speicher des Landes noch voll bleiben mit der Ernte des vergangenen Jahres.