ACP-Therapie im Spitzensport: Schnelle Rückkehr in den Trainingsalltag

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 11.06.2020 um 15:10
Skirennläufer Thomas Dreßen, der im Jahr 2018 die legendäre Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel gewann, ist nach einer extrem schweren Knieverletzung wieder in den Wettkampfsport zurückgekommen und konnte in der letzten Saison fast nahtlos an die Leistungen vor seinem Unfall anknüpfen. Während der Rehamaßnahmen wurde bei Dreßen auch die ACP-Therapie eingesetzt. Wir haben mit Dr. med. Manuel Köhne, dem Mannschaftsarzt des DSV Alpin-Teams, über die die Vorteile der ACP-Therapie, den Ablauf und die Anwendungsgebiete, sowie über die WADA-Code Konformität gesprochen.

tri2b.com: Wie viel Anteil hatten bei Thomas Dreßens sensationeller Rückkehr das Quäntchen Glück, die harte Reha-Arbeit bzw. die akute und scheinbar sehr gut gelungene Grundversorgung der Verletzung?
Dr. med. Manuel Köhne (M.K.): Für so ein „Märchen Comeback“ muss einfach alles passen. Gerade im Skirennsport entscheiden oft hundertstel Sekunden über Sieg oder Niederlage. Da müssen Körper und Geist zu 100 Prozent in der Lage sein, die maximale Leistung abrufen zu können.

Um nach einer so schweren Verletzung, wie sie Thomas Dreßen in Beaver Creek erlitten hatte, dort wieder hinzugelangen, muss alles Hand in Hand gehen und alle Beteiligten ihr Bestes geben. Das beginnt natürlich beim Athleten selbst. Da gilt es, den Kopf schnellstmöglich umzuschalten und den Blick nach vorne auf die Rehamaßnahmen zu richten. Bei Thomas waren der Optimismus und die Bereitschaft, alles für eine gelungene Rehabilitation zu geben, überdurchschnittlich. Andererseits müssen auch die operativen Versorgungen und Rehamaßnahmen gut koordiniert und perfekt auf den Athleten abgestimmt werden. Dazu finden bereits wenige Tage nach der Operation regelmäßige Meetings mit einem Steuerkreis aus Operateur, Rehaklinik, Physiotherapie, Sportfunktionären, Trainern und Ernährungsberater statt. Je nach Zeitpunkt spielt hierbei ein anderer der Beteiligten eine wichtige Rolle in der Steuerung.

Nicht zuletzt braucht man aber auch dieses besagte Quäntchen Glück. Denn in so einem Rehaprozess gibt es viele Unwägbarkeiten, da geht es nicht ohne. Allerdings haben der Athlet und Betreuerkreis natürlich zum Teil schon in der Hand, das Glück ein bisschen „herauszufordern“.

Dr. med. Manuel Köhne mit dem Patienten Thomas Dreßen

 

tri2b.com: Die aus der Knieverletzung resultierenden Beschwerden wurden auch mit der ACP-Therapie behandelt. Ist die ACP-Therapie eine neuere Therapieform?
M. K.: ACP ist schon lange im Spitzensport etabliert. Die Therapie wird vor allem bei akuten Gelenkbeschwerden eingesetzt, um die Entzündungsprozesse zu unterbinden und die Gleiteigenschaften im Gelenk möglichst schnell wieder zu normalisieren. Der Wirkstoff wird in das Gelenk verabreicht und wirkt innerhalb weniger Tage. Thomas war schon in der Vergangenheit sehr erfolgreich damit behandelt worden und kannte die Möglichkeiten. Nach seinen eigenen Angaben ist er „völlig überzeugt von der Therapiemaßnahme und würde es jederzeit wieder machen.“

>>Hintergrund: So läuft die ACP-Therapie ab ...

tri2b.com: Wie lange wurde die ACP-Therapie bei Thomas Dreßen angewandt?
M.K: Gerade bei Spitzenathleten wird im oben genannten Steuerkreis jede Therapiemaßnahme diskutiert und abgestimmt und letztendlich vom Athleten selbst entschieden. Für eine maximale Wirkung sind zwischen 2 bis 3 Injektionen im Abstand von je einer Woche zwischen der Verabreichung erforderlich.

tri2b.com: Wie schnell war der Erfolg spürbar? Gab es irgendwelche Nebenwirkungen?
M.K.: Der Behandlungserfolg zeigt sich nach wenigen Tagen. Die Entzündung geht sofort zurück oder verschwindet vollständig. Für anhaltende Erfolge ist eine wiederholte Gabe sinnvoll. Nach einer körperlichen Schonung von wenigen Tagen kann das normale Training wiederaufgenommen werden. Nebenwirkungen sind absolut selten. Bei zehn Prozent der Erstgaben kommt es zu einer kurzzeitigen Reaktion mit leichter Überwärmung und moderaten Schmerzen für einige Stunden. Schwerwiegende Nebenwirkungen habe ich in meiner Tätigkeit als Mannschaftsarzt seit 2012 nie beobachtet.

tri2b.com: Bei welchen Verletzungen ist die ACP-Therapie erfolgsversprechend?
M.K.: Die ACP-Therapie wird im Sport außerdem erfolgreich bei Sehnen und Muskelverletzungen eingesetzt. Gerade im Skisport entstehen durch die hohen Belastungen in der Abfahrtshocke häufig Entzündungen der Patellasehne am Übergang zur Kniescheibe. Jedes Jahr kommen mehrere Athleten aus dem Kader der Nationalmannschaft mit diesem Knieproblem zu mir, um sich dafür eine ACP-Injektion abzuholen. Gerade letzte Woche habe ich bei einem unserer talentiertesten Spitzenathleten aus der zweiten Reihe die 3-malige Behandlung beendet.

Die ACP-Therapie wird immer von einem individualisierten „Sehnentraining“ begleitet. Hierfür entwirft der Physiotherapeut einen Trainingsplan und führt zusammen mit dem Athleten eine Übungsbatterie zum exzentrischen Training aus. Die Therapie geht in der Regel über mehrere Wochen, ist aber sehr erfolgsvorsprechend. Ähnlich gute Ergebnisse finden sich bei Sehnenbeschwerden am Ellenbogen im Rahmen einer Epicondylitis („Golf- oder Tennisellenbogen“).

tri2b.com: Bei der Beschreibung des Ablaufs der ACP-Therapie dürfte einem Profisportler wohl auch die Frage kommen "ist diese Methode denn auch „Wada-Code konform". Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
M.K.: Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA untersagte das PRP-Verfahren, das der ACP-Therapie zugrunde liegt, bis 2010. Seit 2011 ist es freigegeben, da die Konzentration der körpereigenen Wachstumsfaktoren im Plasma zu gering sei, um einen leistungssteigernden Effekt zu erzielen. Das hat sich mittlerweile glücklicherweise unter den Sportlern herumgesprochen. Ich habe es schon seit Jahren nicht mehr erlebt, dass es in der Auswahl des Medikamentes ein Diskussions-Thema darstellt. Alle Spitzenathleten, die regelmäßigen Dopingkontrollen unterliegen, kennen ohnehin die NADA App und/oder Homepage. Hier sind alle Wirkstoffe und Medikamente explizit aufgeführt und es wird angezeigt, wie und wann sie problemlos verwendet werden können. ACP wird hier als PRP (Platelet Rich Plasma) geführt. Es ist zu allen Zeitpunkten der Wettkampfphasen zugelassen.

tri2b.com: Kurz vor dem vorzeitigen Ende der Weltcup-Saison 2019/2020 hatte sich Thomas Dreßen an der Schulter äußerst schmerzhaft verletzt. Kam hier die ACP-Therapie wieder in Betracht?
M.K.: Glücklicherweise konnten die beiden Schulterverletzungen nach der positiven Auswertung der Bildgebung beidseits konservativ und lediglich mittels Physiotherapie erfolgreich behandelt werden.

tri2b.com: Vielen Dank für das Interview.