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Wenn der Klimaschutz den Traum vom Landleben gefährdet

Eigenheim im Grünen: für viele Deutsche der Wohntraum Eigenheim im Grünen: für viele Deutsche der Wohntraum
Eigenheim im Grünen: für viele Deutsche der Wohntraum
Quelle: Getty Images/Westend61
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Viele wollen rausziehen aus den Städten. Doch nach der Flutkatastrophe wird auch der bebaubare Raum auf dem Land künftig enger werden: Das verschärft den Konflikt zwischen der sogenannten Klimaanpassung und dem Expansionsdrang der Bevölkerung deutlich.

Die Flutkatastrophe hat Schlagworte wie Bodenversiegelung und Klimaanpassung in den Fokus gerückt.

Geologen, Städteplaner und Ingenieure mahnen mit Nachdruck, die Bebauung zu begrenzen, damit Hochwasser ausweichen und Regen in der Erde versickern könne. „Städtebaulich und räumlich müssen wir einiges korrigieren“, appellierte Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik, im Gespräch mit WELT.

Lesen Sie hier das Interview mit Messari-Becker

Das hat die rheinland-pfälzische Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) nun angekündigt: Rheinland-Pfalz wolle die Versiegelung massiv begrenzen und in gefährdeten Regionen auch über eine „Entsiegelung und Renaturierung“ nachdenken. Wie das allerdings in der Praxis aussehen soll, ließ die stellvertretende Ministerpräsidentin offen. Verbietet die Landesregierung beispielsweise Flutopfern im Ahrtal, ihre Häuser wieder aufzubauen, damit Hochwasser-Ausweichflächen und Rückhaltebecken entstehen? Und ist Enteignung geplant, wenn Hausbesitzer trotzdem auf einem Wiederaufbau beharren?

Anne Spiegel (Grüne) ist in Rheinland-Pfalz unter anderem Umwelt- und Klimaschutzministerin
Anne Spiegel (Grüne) ist in Rheinland-Pfalz unter anderem Umwelt- und Klimaschutzministerin
Quelle: pa/dpa/Thomas Frey

Rechtlich wäre eine Enteignung möglich. 2017 hat die Bundesregierung das Hochwasserschutz-Gesetz reformiert und die Enteignung für den Hochwasserschutz deutlich vereinfacht. Aber wie sollen Alternativflächen und Entschädigungen finanziert werden? Davon abgesehen, dass es für die Mainzer Landesregierung ein Balanceakt wäre, schwer vom Unglück Getroffene nun auch noch aus ihrer Heimat zu vertreiben.

Noch stecke man in einer „Phase der akuten Hilfe und Unterstützung“, wehrt Grünen-Politikerin Spiegel Festlegungen ab. Sie wolle das Siedeln in bestimmten Regionen ganz sicher nicht generell verbieten. Aber klar sei, dass Bauen und Planen in Rheinland-Pfalz künftig besser an den Klimaschutz angepasst werden müssten.

Genauso klar ist aber, dass die Klimaanpassung einen lange bestehenden Konflikt weiter verschärfen wird, und das nicht nur in Hochwasser-Risikogebieten: zwischen Klimaanpassung und Naturschutz einerseits und dem Expansionsdrang der Bevölkerung auf der anderen Seite.

Welche Planungspolitik ist nötig?

Wenn die Versiegelung beschränkt wird, dann können Kommunen naturgemäß nicht mehr so viele Baugebiete oder Gewerbe-Grundstücke ausweisen wie bisher. Weniger Straßen, aber auch Schienenanlagen und Radwege könnten gebaut, weniger Wohnraum, Schulen, Schwimmbäder oder Parkplätze geschaffen werden, zumindest auf Ackerflächen oder in bisher unberührter Landschaft.

Doch viele Ballungsgebiete leiden massiv unter Wohnraumnot, das Rhein-Main-Gebiet und das Rheinland etwa, München und Berlin, Hamburg oder Stuttgart. Wegen unbezahlbarer Grundstückspreise und Mieten drängen seit Jahren immer mehr Menschen in städtische Randgebiete oder gleich ganz aufs Land – aus dem Rheinland oder Aachener Raum beispielsweise gern in die charmanten Eifel-Städtchen.

Laut einer neuen Allensbach-Studie wünschen sich viele Menschen mehr Platz und mehr Grün, gern mit eigenem Häuschen und Garten. Corona hat den Trend zur Stadtflucht weiter beschleunigt. Vor allem 30- bis 50-Jährige fliehen das Urbane immer öfter, in dieser Altersgruppe war der Saldo in vielen Städten zuletzt rückläufig, es zogen also mehr Menschen weg, als hinzukamen.

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Wie soll die Politik mit diesen widerstreitenden Herausforderungen umgehen? Muss Deutschland seine Planungspolitik überdenken, ist ein Eingreifen in die Siedlungsentwicklung nötig? Immerhin hatte die Bundesregierung zuletzt genau den umgekehrten Weg eingeschlagen.

Gerade trat das Baulandmobilisierungsgesetz in Kraft, mit dem kleineren Kommunen im Umland mehr Spielraum bei der Schaffung von Wohnraum ermöglicht wird. Für überschaubare Baugebiete entfällt derzeit die Umweltverträglichkeitsprüfung, obwohl das eigentlich europäischen Vorgaben widerspricht.

Eingeführt wurde Paragraf 13b des Baugesetzbuches (BauGB) im Jahr 2017 aber, um möglichst schnell Wohnraum für Flüchtlinge schaffen zu können. Eigentlich war die Regelung bis Ende 2019 befristet. Aber weil der Wohnraummangel anhält, wurde der Paragraf nun bis Ende 2022 verlängert.

So positioniert sich der Bundestag

„Noch einmal darf er nicht verlängert werden“, kritisiert der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup. „Die SPD wollte die Verlängerung nicht, die Union, vor allem die CSU, hat das Thema sehr hoch gehängt.“

Daldrup sieht die Verantwortung vor allem beim CSU-Chef und Ministerpräsidenten von Bayern. „Der Druck der CSU passt gar nicht zu dem Bild eines Ministerpräsidenten Markus Söder, der sich als blumiger Naturschützer präsentieren will, weil durch die Regelung Neubau und kostenträchtige Infrastruktur auf der grünen Wiese entsteht.“

Die Zersiedelung erzeuge mehr Verkehr und nehme der Natur Rückzugsräume. „Wir stehen dazu, weniger als 30 Hektar am Tag zu versiegeln, also den Flächenverbrauch drastisch zu reduzieren.“ Derzeit liegt der tägliche Flächenverbrauch bei 52 Hektar. Das entspricht rund 73 Fußballfeldern. Die Bundesregierung hat beschlossen, bis 2030 eine Begrenzung auf 30 Hektar zu schaffen.

Auch die Grünen hatten sich vehement, aber vergeblich gegen eine Verlängerung von Paragraf 13b gewehrt. Mit dem Baulandmobilisierungsgesetz habe die Bundesregierung „den völlig falschen Rahmen“ gesetzt, kritisiert Chris Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Bundestagsfraktion. „Der 13b untergräbt eine sachgerechte Umweltverträglichkeitsprüfung mit einer Vorsorge für ausreichend Sickerflächen bei Starkregenereignissen.“

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Gleichzeitig unterminiere die Bundesregierung mit der Gesetzesnovelle auch ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele beim Flächenverbrauch. Und außerdem verschließe sich die CDU/CSU vehement dem Bauverbot in Hochwasser-Risikogebieten. „Auch die Union muss hier endlich zur Einsicht kommen.“

Der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst, warnt indes davor, den ländlichen Raum zu benachteiligen. In Metropolen könne zwar noch weiter verdichtet werden. „Gleichzeitig müssen wir aber die Infrastruktur schaffen, damit die Menschen auch auf dem Land gut angebunden und versorgt sind.“ Eine moderne Zukunft auf dem Land sei mit Klimaschutz sehr wohl vereinbar.

Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange (CSU) räumt ein, dass der Hochwasserschutz noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden muss. „Dort, wo man sich sicher glaubte, trat das Undenkbare ein. Wir müssen die vorhandene Infrastruktur widerstandsfähig machen“, so Lange. Versäumnisse beim Baurecht sieht er aber nicht. „Es bedarf keiner Korrektur des Baurechts, sondern der erschöpfenden Anwendung des baurechtlichen Instrumentariums vor Ort.“

Der AfD-Abgeordnete Udo Hemmelgarn kritisiert derweil, es sei fatal, die Flutkatastrophe zur „Beschwörung des Klima-Mantras der Bundesregierung“ zu missbrauchen. „Kein gedämmtes Gebäude, kein Windrad und keine Solaranlage konnte die Bevölkerung vor der hereinbrechenden Katastrophe bewahren.“ Die Naturkatastrophe führe also nicht einen Mangel an Regelungen im Bereich der Raumplanung und Raumordnung vor Augen, sondern ein „eklatantes Staatsversagen beim Schutz der Bevölkerung“. Die Instrumentalisierung eines Wetterphänomens für klimapolitische Zwecke sei verheerend. „Das Klima kann man nicht schützen.“

Arno Bunzel, Jurist und Stadtplaner beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), hält die Beratung und Unterstützung der Kommunen beim Thema Klimaanpassung für besonders wichtig. Denn im Grundsatz sei zwar richtig, dass Versiegelung ein Feind für die Klimaanpassung sei.

Die Außenentwicklung fresse Ressourcen und Energie, führe zu mehr Pendlerverkehr und nehme Naturraum in Anspruch, der verloren sei. „Die Frage ist allerdings: Was ist die Alternative? Wenn Städte nicht nach außen wachsen können, wachsen sie nach innen. Dann kommt es dort zu einer weiteren Verdichtung und zu extremen Versiegelungsmaßnahmen.“

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