Dr. Kai Kaufmann

Dr. Kai Kaufmann

für Stressmanagement, Resilienz, New Work, Gesundheit & Soziales

Mentaler Stress: So können Teams gemeinsam damit umgehen

Unterdrückter Ärger, ständige Unterbrechungen und chronisch gestresste Kollegen – so sieht viel zu oft das Tagesgeschäft aus. Was können Mitarbeiter tun, damit sich die Arbeit im Team besser anfühlt? Was von „Fassadenlächeln“ zu halten ist und vier Feelgood-Tipps für Teams ... 

Im Job wirken viele Mechanismen nicht anders als im privaten Leben. Dazu gehören auch unterdrückte Gefühle, die hier wie dort nicht nur mentalen Stress verursachen, sondern auch krank machen können. Moment mal, Gefühle im Job? Da haben die doch gar nichts zu suchen. Das zumindest mag mancher denken – ob Mitarbeiter, Führungskraft oder Personaler. Welche Gefühle sind erlaubt? Welche nicht? Soll gute Laune etwa „gefaked“ werden, damit die Kollegen, ganze Teams und Projekte nicht darunter leiden?

Surface Acting macht krank

Positive Gefühle werden vom Unternehmen oft sogar eingefordert. Egal, ob sie echt sind oder nicht. Doch unterdrückte negative Gefühle kosten Energie und produzieren zusätzlichen Stress. Wer die erwarteten guten Gefühle im Team oder Umgang mit Kunden ständig nur vorspielt, kann davon regelrecht krank werden. Psychologen sprechen bei diesem „gefaketen“ Lächeln von Surface Acting, sogenanntem Oberflächenhandeln, wie es ganz besonders im Dienstleistungssektor üblich ist.

Ständiges Fassadenlächeln kann zu einem Burn-out führen.
Studie der Virginia Commonwealth University, Richmond, USA

Die US-amerikanische Emotionsforscherin Allison Gabriel von der Virginia Commenwealth University, Richmond, konnte in ihren Studien einen klaren Zusammenhang zwischen ständigem „Fassadenlächeln“ und emotionaler Erschöpfung herstellen.

In ihrer chronischen Form kann diese Form der Erschöpfung in einen Burn-out münden. Dass dauerhaft unterdrückte Gefühle zu Stress, Depressionen und anderen Erkrankungen führen können, haben auch zahlreiche andere Studien gezeigt.

Was also können Mitarbeiter und Teams tun, damit es gar nicht erst soweit kommt? Auch wenn Workload und Zeitdruck dauerhaft viel zu hoch sind, die Kunden nerven und im Team chronisch gestresste Kollegen miese Stimmung verbreiten.

Als Führungskraft Gefühle zeigen

Sind Verärgerung, Wut, Traurigkeit oder andere Gefühle da, wird dies ohnehin in der Umgebung früher oder später wahrgenommen; dauerhaftes Surface Acting lässt sich nur sehr, sehr mühsam glaubhaft durchhalten. Idealerweise gibt es in Teams Raum, um die eigenen Gefühle – moderat – ausdrücken zu können. Hierfür sollte die Führungskraft selbst ein Beispiel sein und ein entsprechend offenes Klima fördern. Traut sie sich Gefühle zu zeigen, wird dies auch den Mitarbeitern leichter fallen. All das heißt natürlich nicht, dass man im Job sein Innerstes vollkommen nach außen kehren sollte. Manchmal reicht es, zu sagen: „Mir geht es heute nicht so gut“ – so kann manches Missverständnis vermieden werden. Eine gesunde Emotionssteuerung und Impulskontrolle sind übrigens Resilienzfaktoren – sie unterstützen die seelische Widerstandskraft.

Deep Acting: Methode für den Moment

Wenn man seine Gefühle aber gerade nicht ausdrücken möchte, der Zeitpunkt ungünstig ist oder es andere Gründe dafür gibt, bietet die Klaviatur der verschiedenen Möglichkeiten einen Graubereich zwischen Vorspielen und Ausdruck der eigentlichen Gefühle: das sogenannte Deep Acting oder Tiefenhandeln. Wohlgemerkt: Dies sollte keine dauerhafte Lösung sein.

Mit Deep Acting kann man tatsächlich gute Gefühle erzeugen.
Zahlreiche Studien im Dienstleistungssektor belegen diesen Mechanismus.

Beim Deep Acting versucht man, die gewünschten Emotionen tatsächlich hervorzurufen. Eine Variante des Deep Acting besteht darin, die eigene Aufmerksamkeit auf andere, positivere Aspekte zu richten und auf diese Weise selbst für gute Gefühle zu sorgen. Eine Art der aktiven Perspektivänderung: Vielleicht hat der nervige Kollege auch Eigenschaften, die man eigentlich schätzt; die mühsame Prozesseinführung wird mittelfristig zu Erleichterungen führen; die komplexe neue Aufgabe wird man vermutlich genauso meistern wie das Projekt zuvor.

Authentische Gefühle hervorrufen

Die im Deep Acting hervorgerufenen Gedanken und Emotionen sind authentisch – auch wenn diese Methode eine Form der Selbstmanipulation sein mag. Doch jeder kennt berufliche Momente, in denen es sehr hilfreich sein kann, die eigene Stimmung auf diese Art aktiv zu verbessern. Das ist hilfreich nicht nur für Kollegen und Kunden, sondern vor allem für einen selbst.

Besser ist es natürlich, wenn auch negative Gefühle ausgedrückt werden können, kein chronischer Stress entsteht und sich die Arbeit meist gut anfühlt. Manchmal sind die Schrauben, an denen man dafür drehen kann, klein und dennoch sehr wirksam.

Vier Feelgood-Tipps für Teams:

  • Interne Umfrage: Um für mehr positive Momente und weniger Stress zu sorgen, können Mitarbeiter sich bewusst die Frage stellen: Wann fühlen wir uns im Team gut? Welche Situationen sind das? Wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir öfter positive Gefühle und weniger Belastungen im Tagesgeschäft erleben?
  • Weniger Unterbrechungen: Einer der Hauptstressoren in Unternehmen sind Unterbrechungen. Erfordern Aufgaben viel Konzentration, kann es bis zu 25 Minuten (genau: 23 Minuten und 15 Sekunden) dauern, bis Mitarbeiter nach einer Unterbrechung wieder anknüpfen können, zeigt eine Studie der University of California, Irvine. Ständige Unterbrechungen kosten die Mitarbeiter Nerven und das Unternehmen Geld. Treffen Sie im Team Absprachen darüber, wie und mit welchen Signalen sich die Zahl gegenseitiger Unterbrechungen auf das Nötige reduzieren lässt. Denn: Bei häufigen Unterbrechungen arbeiten die Mitarbeiter anschließend schneller, um die verlorenen Zeit zu kompensieren. Die Folge: ein erhöhter Stress- und Frustrationslevel, wie Gloria Mark, Professorin für Informatik an der UC Irvine, ebenfalls zeigen konnten.
  • Kreativität und Effizienz durch Pausen fördern: Nach 90 Minuten tritt bei der Arbeit ein drastischer Effizienverlust auf. Jetzt ist es Zeit für eine Pause. Paradoxerweise fährt man die „verlorene“ Zeit dabei mehr als ein. In der echten, ziellosen Pause wird dasselbe Hirnareal aktiv, das für uns auch im Schlaf elementare Jobs erledigt: das Default Mode Network (DMN). Es legt Information im Langzeitgedächtnis ab, wirft unbenötigte „Daten“ über Bord und stellte neue neuronale Verbindungen her. Jeder kennt das kreative Potenzial, das in Momenten des ziellosen Denkens, Tagträumens und Abschweifens liegt: Dahinter steckt genau diese Hirnregion. Chefs sollten ihre Teammitglieder daher zu regelmäßigen Pausen ohne zielgerichtete Aktivitäten ermutigen. Wer in die Luft starrt, leistet vielleicht gerade wertvolle Arbeit ...
  • Bloß nicht anstecken lassen: Stehen Mitarbeiter über lange Zeiträume unter Stress, sinkt die Schwelle für Gereiztheit und cholerische Reaktionen, die Flexibilität wird geringer und das Verhalten starrer. All dies kann in häufige Konflikte münden. Stress steckt tatsächlich an – wie also kann man sich persönlich schützen in einem gestressten Team? Drei Tipps: 1. Lernen Sie vor allem, autonom zu reagieren, sprich: nicht im gleichen Modus wie ihr gestresster Kollege. Eine Technik, die nachweisbar dabei hilft: Selbstbeobachtung; werden Sie sich auf diese Weise frühzeitig ihrer eigenen Gefühle bewusst, um auch Ihr Handeln leichter regulieren zu können. 2. Unterscheiden Sie zwischen ihrer Arbeitssituation und dem Stress des Anderen, um einen inneren Abstand herzustellen. 3. Bleiben Sie sachlich, argumentieren sie ruhig.

_________________________

Am 10. Oktober ist der World Mental Health Day – die XING News Redaktion wird das Thema intensiv begleiten. Wir wollen Angst vor dem vermeintlichen Tabu-Thema Depression nehmen und informieren, wie man sich davor schützen und behandeln lassen kann. Mentale Gesundheit geht uns alle an, weltweit leiden rund 350 Millionen Menschen unter Depressionen, die Zahl der Krankschreibungen auf Grund psychischer Probleme hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland verdreifacht. Jede und jeder kann gezielt vorbeugen, vor allem Stress bei der Arbeit kann ein Auslöser für seelische Krankheiten sein und sollte darum bewusst hinterfragt werden. Hier finden Sie alle Insider Beiträge, Talks und Klartexte zum Thema mentale Gesundheit.

Sie brauchen Hilfe?

Die Deutsche Depressionshilfe hat eine gute Übersicht für lang- und kurzfristige Hilfsangebote in Deutschland zusammengestellt. Betroffene aus der Schweiz finden hier Anlaufstellen, Österreicher hier.

Du möchtest mehr zu Themen wie diesem erfahren? Dann sei dabei in meinem nächsten offenen Training für mehr seelische Widerstandskraft (Resilienz) für Mitarbeiter und Führungskräfte vom 22.4.2024 – 23.4.2024 im Beach Motel St. Peter Ording. Für Infos zu diesem und weiteren Trainings zu den Themen „Stressmanagement“, „Resilienzorientierte Führung“ oder „Mehr Gelassenheit entwickeln“ sende mir gern hier eine Nachricht oder eine Mail an drkaikaufmann@icloud.com oder besuche meine Homepage mit meinem Blog.

Wer schreibt hier?

Dr. Kai Kaufmann
Dr. Kai Kaufmann

Trainer für Stressmanagement, Resilienz (Seminare, Coaching), Dr. Kai Kaufmann

für Stressmanagement, Resilienz, New Work, Gesundheit & Soziales

Dr. Kai Kaufmann war 15 Jahre als Führungskraft für Verlage tätig. Nach einem Burnout stellte er die Weichen für sein Leben neu. Heute unterstützt er als Trainer für Stressmanagement und Resilienz Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Als Medical Writer publiziert er bis zu 30 Fachartikel jährlich.
Mehr anzeigen