Franka Lu ist eine chinesische Journalistin und Unternehmerin. Sie arbeitet in China und Deutschland. In dieser ZEIT-ONLINE-Serie berichtet sie kritisch über Leben, Kultur und Alltag in China. Um ihr berufliches und privates Umfeld zu schützen, schreibt sie unter einem Pseudonym.

Mitte Mai hat China Daily, eine der wichtigsten, an ein internationales Publikum gerichteten Zeitungen Chinas, einen Artikel mit dem Titel Schwedische Umweltschutz-Prinzessin: Es ist Zeit, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren veröffentlicht. Gleich am Anfang sieht man ein unvorteilhaftes Foto von Greta Thunberg, es folgen heftige Ausfälle gegen diese "schwedische Frau", die es gewagt habe, China zu befehlen, seine CO2-Emissionen zu reduzieren. Der Artikel ist ein vollendetes Beispiel der Desinformation: Erst wird Chinas CO2-Ausstoß verteidigt, etwa mit dem Hinweis darauf, dass das Land die meisten Konsumprodukte der Welt produziere; dann wird Greta Thunberg attackiert, weil sie den CO2-Ausstoß der entwickelten Länder nicht kritisiere, was natürlich eine absurde Falschdarstellung ist.

Die wichtigste Anschuldigung findet sich im folgenden Absatz: "Worin besteht die Verbindung zwischen dem Hongkong-Gift (eine verunglimpfende Bezeichnung für die Demokratiebewegung Hongkongs, d. A.) und dem Umweltschutz? Denn fraglos hängt das eine mit dem anderen zusammen: Sie sind zwei verschiedene Schachfiguren in den Händen westlicher Politiker, die den Schwellenländern Ärger machen wollen. Das Hongkong-Gift kann die Entwicklung des größten Schwellenlands (also China, d. A.) beeinträchtigen, und die Umweltschutz-Prinzessin will da nicht zurückstehen: Ich bin dabei!" Mit einer solchen Beschuldigung sind die Chinesinnen und Chinesen bestens vertraut. Sich auf eigene Faust für den Umweltschutz zu engagieren, ist in China eine gefährliche Sache.

Zwei Illusionen gegenüber China und seiner Rolle in der Klimakrise sind in Europa weit verbreitet. Eine ist vor allem bei der älteren Generation noch sehr populär, insbesondere unter politischen Funktionsträgern, Industrielobbyisten und manchen China-Experten. Sie hängen nach wie vor einer in der Zeit nach dem Kalten Krieg entstandenen Idee von "Engagement" an, die ungefähr so geht: Weil Europa auf das Engagement Chinas bei Themen wie der Klimakatastrophe angewiesen ist, muss man bei anderen Themen große Vorsicht walten lassen, etwa bei der Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und Xinjiang oder aktuell angesichts der chinesischen Intransparenz bei der Frage nach dem Ursprung der Corona-Pandemie. Das ist natürlich die perfekte Ausrede, um mit China ungestört weiter Geschäfte zu betreiben.

Klimawandel - Was, wenn wir nichts tun? Waldbrände, Eisschmelze, Unwetter: Der Mensch spürt die Erderwärmung. Wie sieht die Zukunft aus? Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf erklärt unsere Welt mit 4 Grad mehr.

Die Illusion der Jüngeren

Eine andere Illusion ist eher bei jüngeren Europäerinnen und Europäern verbreitet, die vom Versagen der demokratischen Länder des Westens bei der Lösung der Klimakatastrophe bitter enttäuscht sind. Eine aktuelle Umfrage des Thinktanks European Council of Foreign Relations (ECFR) brachte das erschreckende Ergebnis, dass 53 Prozent der jungen Bürgerinnen und Bürger Europas in Sachen Klimaschutz autoritären Staaten mehr vertrauen als demokratisch verfassten. Es scheint mir sehr klar, dass sich das positive Image autoritärer Staaten in diesem Fall einer bestimmten Vorstellung von China verdankt. Da es sich hier um das politische Thema handelt, das Millennials auf der ganzen Welt vereint und mobilisiert, ist eine solche Haltung gefährlich.

Die Auseinandersetzung mit der ersten Illusion – "Engagement" – ist sehr einfach. Man muss nur die simple Frage stellen, ob China sich in seiner Klimapolitik für die Haltung Europas interessiert. Die zweite Illusion stellt ein deutlich größeres Problem dar, denn hier geht es nicht um Ja oder Nein, sondern um Warum und Was. Warum kann China plötzlich als weltweit führend im Kampf gegen die Klimakatastrophe erscheinen? Und: Was wird China in dieser Hinsicht wirklich leisten?

Für die Menschen in China ist die Umwelt ein wichtiges Thema, wenn auch die meisten eher die Sorge vor den Auswirkungen von Smog und unmittelbar spürbarer Verschmutzung umtreibt als die grundsätzliche nach den CO2-Emissionen des eigenen Landes. Seit den Achtzigerjahren und bis vor rund zehn Jahren war die Umweltverschmutzung eine massive Belastung für die Bevölkerung; die Regierung versprach, dagegen etwas zu unternehmen, tat es dann aber nicht. Nur zwei Beispiele: Es gibt im ganzen Land mindestens 351 "Krebsdörfer", in denen massenhaft Menschen an Krebs sterben und starben, der mutmaßlich von Umweltverschmutzung verursacht wird, und 80 Prozent des Grundwassers in China sind von Industrierückständen verunreinigt. Jahrelang haben mich ausländische Freunde in China gefragt: "Wie kann es sein, dass die Leute sich damit abfinden? Warum protestieren sie nicht?"